Eine Schwalbe macht noch keinen Citadis...

  • ...viel Schwalben auf blauem Grund aber das charakteristische Design der Montpellierer Straßenbahnlinie T1.


    Nachdem vor einigen Wochen ein Thema über französische Designer-Trams auf reges Interesse gestoßen ist, möchte ich hier einige Straßenbahn-Impressionen von meinem Aufenthalt in Montpellier vorstellen.


    Die erste neue Straßenbahnlinie ("Hirondelles"=Schwalben) Montpelliers ging 2000 in Betrieb, 2006 folgte die zweite Linie ("Fleurs"=Blumen), die die Stadtgrenze überschreitet und an beiden Enden eingleisige Überlandabschnitte aufweist. Eine dritte Linie, die ua. den Küstenort Pérols anbinden wird, ist im Bau und wird vsl. 2012 in Betrieb gehen.
    Auf der T1 verkehren nachträglich um zwei Mittelstücke verlängerte Citadis 401 sowie drei 2006 nachbestellte Citadis 402, auf der T2 sind ausschließlich Citadis 402 im Einsatz.



    Zunächst ein Blick in den Fahrgastraum: Die Citadis 401 der T1 (links) haben keinen durchgehend niederflurigen Boden, sind in den Farben graublau, gelbgrün und schwarz gehalten. Auf der T2 (rechts) dominieren die Farben gelbgrün und dunkelrot, was zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig ist. Die moderneren Citadis 402 haben neben 100% Niederflur auch Fahrgastinformation mittels TFT-Monitoren anstelle der LED-Laufschrift vorzuweisen. Allen Fahrzeugen gemein ist das typische Sitzdesign mit den Rückenlehnen in Form zweier ineinander verschmolzener Kreise.




    Das Motiv der Sitze wird auch bei der Haltestellenmöblierung aufgegriffen. Die meisten Haltestellen, bis auf aufwendig konstruierte Umsteige- und Endstellen, weisen standardisiertes Mobiliar auf, das sich linienspezifisch in der Farbe (T1=blau, T2=orange, grün, gelb) unterscheidet.
    Vereinzelt ist auch Vandalismus (zerkratzte Scheiben, Edding-Schmierereien) zu beobachten; mE auf der T1 stärker verbreitet als auf der T2.




    Straßenbahnstau infolge einer gestörten Signalanlage vor der Endstelle "Mosson" der T1. Tagsüber wird durchgehend im 5-Minuten-Takt gefahren. Mosson ist einer jener Trabantenstädte, in der die überwiegend nordafrikanische Bevölkerung in wenig einladenen Wohnsilos lebt. Trotzdem -oder gerade deshalb- hat man diese Viertel mit hochwertiger Ausstattung (besonders hervorgehobene Eigentrasse, Endstelle mit aufwendiger Dachkonstruktion) ans Straßenbahnnetz angeschlossen.




    Abgesehen von den Betonburgen am Stadtrand ist Montpellier eine sehr schöne Stadt. Neben der Altstadt, die mit ihren engen Gassen, verwinkelten Plätzen und unzähligen Straßencafés typisch mediterranes Flair ausstrahlt, sind auch die platanenbestandenen Alleen typisch für die Stadt. Kurz vor der Haltestelle "Stade Philippides" durchquert die T1 einen Kreisverkehr, der beim Straßenbahnbau durch einen Brunnen und Runddach zum Blickfang umgestaltet wurde.




    Südöstliche Endstelle der T1 ist Odysseum. Lag die Haltestelle bei der Eröffnung 2000 quasi "auf der grünen Wiese", wurde dort in der letzten Jahren ein riesiges Einkaufszentrum errichtet. Wie in Frankreich üblich, hat man die Tram nicht einfach "in den Keller" verbannt, sondern die Haltestelle gekonnt in die Architektur des Zentrums integriert.





    Nein, hier haben nicht Randalierer Pflastersteine für Maikrawalle geklaut, diese "Fallgrube" ist beabsichtigt, um den Autoverkehr von der Straßenbahntrasse fernzuhalten. Auch sonst wird in der Innenstadt der Autoverkehr massiv eingeschränkt: Versenkbare Poller (links im Bild) lassen nur Anwohner und Lieferverkehr durch die engen, für die Tram oft rückgebauten Straßen passieren.
    Die rechts sichtbare orange Raute an der LSA zeigt die Betriebsbereitschaft der Vorrangschaltung an. Meldet sich eine Tram an die Anlage an, beginnt die Raute zu blinken, ein blinkendes Ausrufezeichen kündigt den Wechsel des Signalbildes innerhalb der nächsten Sekunden an. Die Straßenbahnbeschleunigung wird in Montpellier sehr konsequent umgesetzt. Bis auf eine Signalstörung an einem Kreisverkehr und Wartezeiten an einem Gleisdreieck, das gerade von einem anderen Zug belegt war, habe ich während meines einwöchigen Aufenthaltes nie eine Tram vor einer Ampel anhalten sehen.



    Im nächsten Teil gibts dann ua. Fotos von der bunten "Hippie-Tram" auf der T2 zu sehen...

  • Sehr informativer Bericht!


    Zitat

    Original von 0815-Lokführer
    Kurz vor der Haltestelle "Stade Philippides" durchquert die T1 einen Kreisverkehr, der beim Straßenbahnbau durch einen Brunnen und Runddach zum Blickfang umgestaltet wurde.


    Ein bisschen später abgedrückt und es sähe aus, als ob die Straßenbahn Wasserski fährt.


    Zitat

    Original von 0815-Lokführer
    Südöstliche Endstelle der T1 ist Odysseum. Lag die Haltestelle bei der Eröffnung 2000 quasi "auf der grünen Wiese", wurde dort in der letzten Jahren ein riesiges Einkaufszentrum errichtet. Wie in Frankreich üblich, hat man die Tram nicht einfach "in den Keller" verbannt, sondern die Haltestelle gekonnt in die Architektur des Zentrums integriert.


    Sieht aber auch nach viel Laufweg und Treppen aus …


    Hast du auch Bilder von den FIS im 402? Der Bildschirm sieht auf jeden Fall schon mal sehr bunt aus (passt ja zum Innendesign).

  • Zuerst mal recht herzlichen Dank an Holger u Ralf für die Ergänzung mit den FIS-Bildern! Dass neben der Liniendarstellung auch ein Kartenausschnitt gezeigt wird, habe ich bisher bei keinem anderen Straßenbahnbetrieb gesehen.


    Interessant auch der von Combino verlinkte Hörbeitrag. Bemerkenswert fand ich die Anmerkung des Pariser Verkehrsplaners, die Einführung der T3 habe das Verkehrschaos an den Kreuzungen verringert; das sollte sich auch hierzulande mal herumsprechen. Und der typische Montpellierer Haltestellengong ist auch mehrmals zu hören.



    Zitat

    Original von Qrrbrbirlbel


    Sieht aber auch nach viel Laufweg und Treppen aus …


    Das hält sich in Grenzen; es ist nur eine (Roll-)treppe zu überwinden. Verglichen mit den Wegen U1->NWZ oder U4/7-> Hessen-Center geradezu ein Katzensprung. Schön finde ich die Anlage der Haltestelle in einen Lichthof des Einkaufszentrums, anstatt sie in einen dunklen "Kellerbahnhof" zu verbannen.


    Kommen wir jetzt zum zweiten Teil meines kleinen Bilderbogens:



    Moderne Tram mit moderner Architektur nahe Lemasson. Montpellier gehört zu den am stärksten wachsenden Städten Frankreichs, und überall entlang der Straßenbahntrassen sieht man Neubaugebiete emporwachsen. Hier muß sich der Citadis ein kurzes Streckenstück mit dem Autoverkehr teilen; absolute Ausnahme bei einem Betrieb, der ansonsten fast komplett auf eigenem Gleiskörper trassiert ist.





    Noch ein Neubaugebiet, diesmal Malbosc an der T1. Auffällig ist der unterschiedliche Zustand des Rasengleises; mal unkrautbewachsen, mal verdorrt, an anderen Stellen englisch geflegt. Offenbar spielen Bewässerung und Pflege eine wichtige Rolle.




    Ab 1979 wurde -quasia als Gegenpol zur historischen Altstadt- das Neubauviertel Antigone im neoklassizistischen Stil errichtet. Die Architektur des Viertels ist wie das Design der Trams Geschmacksache. Rechts im Bild eine "Vélomag"-Station, an der man -ähnlich wie beim Pariser "Vélib"- nach Registrierung stunden- oder tageweise Fahrräder mieten kann.




    T2 auf dem südwestlichen Überlandabschnitt bei St Jean le Sec. Nur jeder zweite Zug befährt den einigleisigen Abschnitt, der einer ehemaligen Eisenbahntrasse folgt und sich teilweise noch im Besitz des staatlichen Infrastrukturbetreibers RFF befindet. Die übrigen Züge enden bereits in Sabines, wo sich ein großer P&R-Platz befindet.




    Der nördliche Überlandabschnitt der T2 ist landschaftlich weitaus reizvoller. Mag die "Hippie-Tram" im Stadtbild eigenwillig wirken, hier im Einschnitt mit rötlichem Boden, Vulkangestein als Schotter und viel Grün wirken die Farben harmonisch und passend.
    Die gesamte Strecke ist von gut ausgebauten Radwegen flankiert, auf dem Abschnitt nach Jacou wurde auch die Trasse für ein zukünftiges zweites Gleis freigehalten.




    Die Stadt wächst - die Tram auch! In der Nähe des zukünftigen Rathauses an der Haltestelle Moularès liegen schon die ersten Gleise für die zukünftige T3. Im Vergleich zu uns sind die Planungs- und Bauphasen für neue Straßenbahnstrecken in F relativ kurz.





    Zum Schluß noch ein Bild für unsere Busfreunde. Renault-Hochflurbus auf OL6 am Boulevard de l'Observatoire. Bald wird hier die Busspur der Trasse für die T3 weichen, wie uns das gelbe Schild im Hintergrund informiert. Übrigens lohnt sich bei diesem Bild genaueres Hinsehen, denn es ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint...

  • Auch für diesen Bildbericht vielen herzlichen Dank! Ich freue mich schon sehr auf die Eröffnung der neuen Ligne T3, die bis ans Meer führen wird! Toll... Dann lässt sich der Strandurlaub im Süden Frankreich prima mit einer Straßenbahnfahrt verbinden! :D


    Zitat

    Original von DenshaOtaku
    Die Hausfassaden sind Fakes, wenn ich das richtig sehe...?


    Scheinen schon echte Hausfassaden zu sein, nur mit aufgemalten Eckhäusern... (die da wohl einst standen). ;)

    X
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  • Zitat

    Original von Combino
    Scheinen schon echte Hausfassaden zu sein, nur mit aufgemalten Eckhäusern... (die da wohl einst standen). ;)



    So meinte ich das auch ;) .

    Fág an Bealach!

  • Zitat

    Original von 0815-Lokführer
    Das hält sich in Grenzen; es ist nur eine (Roll-)treppe zu überwinden.
    Verglichen mit den Wegen U1->NWZ oder U4/7-> Hessen-Center geradezu ein Katzensprung. Schön finde ich die Anlage der Haltestelle in einen Lichthof des Einkaufszentrums, anstatt sie in einen dunklen "Kellerbahnhof" zu verbannen.


    Wobei dies erst eine neue Errungenschaft ist. Noch vor nicht mal drei Jahren befand sich die Endstation noch komplett unter freiem Himmel. Die direkte Bebauung ist also erst später gekommen.


    Zitat

    Offenbar spielen Bewässerung und Pflege eine wichtige Rolle.


    Natürlich. Rasen und Gleis schließen sich üblicherweise aus, denn ein Gleis muß für eine dauerhafte Lage entwässert sein. Nun muß aber Wasser für den Rasen da sein, also ist die Bewässerungstechnik nicht ohne.


    Zitat


    Nur jeder zweite Zug befährt den einigleisigen Abschnitt, der einer ehemaligen Eisenbahntrasse folgt und sich teilweise noch im Besitz des staatlichen Infrastrukturbetreibers RFF befindet.


    Und obwohl dort seit Jahren kein Zug mehr fährt und z. T. durch zuasphaltierte Spurrillen eh nicht sofort etwas fahren könnte, mußte aufwendig die Weichentechnik so angepaßt werden, daß der Eisenbahnbetrieb durchgeführt werden kann.


    Zitat


    Im Vergleich zu uns sind die Planungs- und Bauphasen für neue Straßenbahnstrecken in F relativ kurz.


    Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wenn man sich die Bauzeit für die relativ kurze Verlängerung der T2 in Paris ansieht, ist da kein großer Unterschied auszumachen. Auch die Planungszeit ist nicht wirklich anders. Sehr positiv wirkt sich allerdings aus, daß erstens viele Bürger die Straßenbahn haben wollen und dementsprechend ein politischer Druck vorhanden ist und zweitens über die Nahverkehrssteuer eine Planungssicherheit besteht, die man hierzulande nicht hat. Siehe Streckenausbau Arheilgen, wo man dann ewig auf das Geld vom Land Hessen warten durfte. Dementsprechend schleppend verläuft die Planung. "Bekommen wir Geld? Ach nee, dann laß uns mal warten, wir prüfen erst mal sonstwas..."

  • Zitat

    Original von Combino
    Auch für diesen Bildbericht vielen herzlichen Dank! Ich freue mich schon sehr auf die Eröffnung der neuen Ligne T3, die bis ans Meer führen wird! Toll... Dann lässt sich der Strandurlaub im Süden Frankreich prima mit einer Straßenbahnfahrt verbinden! :D


    Das wird auch Zeit. Die OL28 nach Pérols Étang verkehrt nur halbstündlich und nur bis ca. 19:30 Uhr mit Solobussen, gurkt durch Gewerbegebiete und -zig Kreisverkehre und war bei Badewetter so brechend voll, dass der Fahrer teilweise Fahrgäste zurücklassen musste.


    Zitat

    Original von DenshaOtaku
    Die Hausfassaden sind Fakes, wenn ich das richtig sehe...?


    Richtig. Perspektivisch allerdings so gut gelungen, dass man selbst beim Original zweimal hingucken muss. Das kleine "Fenster im Fenster" verrät dann das Gemälde.



    Zitat

    Original von Holger Koetting
    Natürlich. Rasen und Gleis schließen sich üblicherweise aus, denn ein Gleis muß für eine dauerhafte Lage entwässert sein. Nun muß aber Wasser für den Rasen da sein, also ist die Bewässerungstechnik nicht ohne.


    Und die scheint in Südfrankreich (Nizza, Montpellier, Marseille) sehr unterschiedlich zu funktionieren: Mal englisch gepflegt, mal unkrautüberwuchert, mal überschwemmtes "Matschgleis", mal vertrockneter Rasen - und das oft im Abstand weniger Meter. Wundert mich eigentlich bei den sonst so auf Design und gepflegtes Aussehen getrimmten Betrieben.

  • Zitat

    Original von 0815-Lokführer


    Und die scheint in Südfrankreich (Nizza, Montpellier, Marseille) sehr unterschiedlich zu funktionieren: Mal englisch gepflegt, mal unkrautüberwuchert, mal überschwemmtes "Matschgleis", mal vertrockneter Rasen - und das oft im Abstand weniger Meter. Wundert mich eigentlich bei den sonst so auf Design und gepflegtes Aussehen getrimmten Betrieben.


    Möglicherweise testen die da auch einfach noch, was am besten funktioniert. In Dresden hat man mal getestet, ob Moos zwischen den Gleisen pflegeleichter ist, als Rasen.

  • Schöner Bericht, interessante Fotos. Danke.


    Und irgendwie ist mir die "Hippie-Tram", wie du sie nennst, doch sympatisch.

    Dieser Beitrag wurde umweltfreundlich, aus wiederverwerteten Buchstaben und Wörtern von weggeworfenen Spammails geschrieben und ist deshalb voll digital abbaubar!