Pläne für die "City-Bahn" kommen voran...

  • Ein Alternativmodell für Volksabstimmungen und Quoren ist mir grade eingefallen: Bürger*innenpanel. Das funktioniert so: mit genügend Unterschriften wird keine Abstimmung getriggert, sondern ein Gremium eingesetzt, das aus zufällig ausgewählten Wahlberechtigten besteht. Diese beraten in vorgegebener Zeit über das Thema und hören die Pro- und Contra-Gruppen an – bei sowas wie der Citybahn würde ich schätzen, dass das in zwei Wochenenden erledigt sein könnte – und treffen eine Entscheidung über das Begehren.


    Vielleicht könnte so ein Gremium immer für 5 Jahre bestimmt werden, um alle Begehren in dieser Zeit zu entscheiden, oder es wäre auf einer pro-Fall-Basis; die Problematik mit der unzureichenden geografischen Eingrenzung (also hier: warum dürfen Mainz und Taunusstein nicht abstimmen) wäre natürlich nicht gelöst.

  • Ich finde es ein Unding, dass eine so kleine Minderheit eine so wichtige verkehrspolitische Weichenstellung dominiert. Was für eine Vorstellung steckt in dem Begriff "Diktaturen einzelner Behörden". Jede Behörde hat einen gesetzlichen Auftrag, im Rahmen dessen sie handlungsbefugt ist, was hat das mit Diktatur zu tun? Die Behörde, die den gesetzlichen Auftrag nach dem ÖPNVG ausführt, ist die Stadt Wiesbaden. Sie hat den ÖPNV möglichst gut zu organisieren, hat Probleme zu erkennen und zu lösen. Dass Wiesbaden ein Verkehrsproblem und insbesondere auch ein ÖPNV-Problem hat, scheint ja wohl unstreitig zu sein. Hiergegen eine Lösung vorzuschlagen und ins Werk zu setzen, als Behördendiktatur zu bezeichnen, nee, echt nicht; vielleicht gehts auch eine Nummer weniger schrill.


  • Klar entscheiden die Parlamente letztlich über die Planungen, aber da geht es nur noch um Zustimmung oder Ablehnung. Zu diesem Zeitpunkt liegt die fertige Planung doch schon auf dem Tisch...

    Dieses Argument ist nun inkonsistent. Wie kannst du eine Abstimmung des Volkes über Zustimmung oder Ablehnung einer Planung für eine demokratisch legitimierte Entscheidung halten, wenn du eine Abstimmung eines Parlamentes über Zustimmung oder Ablehnung einer Planung noch nicht einmal bedingungslos für eine Entscheidung hälst?

  • Jede Behörde hat einen gesetzlichen Auftrag, im Rahmen dessen sie handlungsbefugt ist

    Ja, das ist korrekt. Aber dieser gesetzliche Auftrag kann, nach meinem Verständnis, nur ein "äußerer Rahmen" sein. Es muss möglich sein, dass bei einzelnen Projekten durch direkte, demokratische Legitimation in diesem Einzelfall von dem gesetzlichen, äußerem Rahmen abgewichen werden kann.


    Solch eine Abweichung kann aber niemals durch eine Behörde selbst stattfinden - sonst würde sich die Behörde ja selbst ihre rechtliche Grundlage nach belieben auslegen können. Der Souverän sollte aber die Möglichkeit haben, im Einzelfall abweichend zur gesetzlichen Grundlage entscheiden zu können.


    Du arbeitest in diesem behördlichen System und hast daher einen anderen Blickwinkel auf die Gegebenheiten.

    Bürger*innenpanel. Das funktioniert so: mit genügend Unterschriften wird keine Abstimmung getriggert, sondern ein Gremium eingesetzt, das aus zufällig ausgewählten Wahlberechtigten besteht. Diese beraten in vorgegebener Zeit über das Thema und hören die Pro- und Contra-Gruppen an – bei sowas wie der Citybahn würde ich schätzen, dass das in zwei Wochenenden erledigt sein könnte – und treffen eine Entscheidung über das Begehren.

    Das wäre schon ein deutlicher Fortschritt, vergleichbar mit den Jurys im angelsächsischen Raum.

  • Ja, die Stadtverordneten entscheiden über die Planung. Sie tun dies aufgrund von Vorlagen, Gutachten, Plänen und was noch allem; und sie wägen das Für und Wider ab. Die Abwägung der betroffenen Interessen ist das Kernstück jeder Planung. Der abstimmende Bürger muss nicht abwägen, er muss noch nicht einmal Argumente zu Kenntnis nehmen, er kann aus dem Bauch heraus oder aufgrund ganz unsachlicher Erwägungen entscheiden, dass z.B. dem grünen Verkehrsdezernten mal ein Dämpfer verpasst gehört; oder einfach, weil ihm nicht schön ist.

  • Dieses Argument ist nun inkonsistent. Wie kannst du eine Abstimmung des Volkes über Zustimmung oder Ablehnung einer Planung für eine demokratisch legitimierte Entscheidung halten, wenn du eine Abstimmung eines Parlamentes über Zustimmung oder Ablehnung einer Planung noch nicht einmal bedingungslos für eine Entscheidung hälst?

    Das ist ein Missverständnis.


    Da kaum jeder Wahlberechtigte bei einer Planung mitarbeiten kann - sei es wegen Sachkenntnis noch Zeitaufwand, kann man bei solch einer Abstimmung neben ja und nein höchstens nein und mehrere Varianten vorlegen.


    Auf der Seite des Parlamentes sieht es in der Tat etwas anders aus: Im Beitrag zur U4-Verlängerung war die Tage hier im Forum zu lesen, wie es Planungen auf die Prüfagenda der zuständigen Behörden schaffen oder auch nicht und wie einzelne Beteiligte hier Änderungen erreichen können.


    Eine oder mehrere Abgeordnete in einem Parlament haben damit eine höhere Entscheidungskompetenz als teilweise mehrere hunderttausend Wahlberechtigte vor Ort. Und die Abgeordneten wurden teilweise von den Wahlberechtigten mit ganz anderen Wünschen und Vorstellungen gewählt oder noch schlimmer: Zum Zeitpunkt der Wahl stand noch gar nicht fest, wie der gewählte Abgeordnete sich positionieren wird. Dass der Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet sei, sollte jetzt nicht als Argument kommen, Fraktionszwang tut sein übriges.


    Letztlich ist daher schon die Bestellung der verschiedenen Planungsvarianten, welcher überhaupt näher geprüft werden, nicht mehr objektiv sondern durch Parteipolitik gelenkt. Gerade bei dem Thema U4 ist doch sehr deutlich, welche Partei was bevorzugt.


    Ganz simpel formuliert: Die Abgeordneten sollten das Tagesgeschäft und unaufschiebbare Sachverhalte vorläufig entscheiden, aber wichtige Weichenstellungen sollten generell direktdemokratisch legitimiert werden, wie in der Schweiz.

  • Es muss möglich sein, dass bei einzelnen Projekten durch direkte, demokratische Legitimation in diesem Einzelfall von dem gesetzlichen, äußerem Rahmen abgewichen werden kann.


    Kann es doch! Die Stadtverordneten in Wiesbaden können es, jederzeit. Warum tun sich nicht einfach, wofür sie gewählt sind? Stattdessen verstecken sie sich jetzt schulterzuckend hinter einer Minderheit. Was ist mit ihren Wählern? Verkehrsplanung und Projektplanung ist ein kontinuierlicher Prozess, in dem es auch so etwas wie Rechtssicherheit geben muss. Millionen € Planungskosten in den Sand gesetzt. Bis zu welchem Projektfortschritt soll man denn abweichen können?

  • Auf der Seite des Parlamentes sieht es in der Tat etwas anders aus: Im Beitrag zur U4-Verlängerung war die Tage hier im Forum zu lesen, wie es Planungen auf die Prüfagenda der zuständigen Behörden schaffen oder auch nicht und wie einzelne Beteiligte hier Änderungen erreichen können.

    Ich verstehe grade nicht, warum dieses Argument nicht genau gegen deine These spricht.


    Edit: vielleicht etwas ausgeführt: Du sagst doch weiter oben, dass „Parlamente entscheiden“ nur bedingt richtig sei, weil sie ja nur über fertige Planungen abstimmen, und nun argumentierst du, dass sie vorher ja die Planung beeinflussen. Hä?

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  • er muss noch nicht einmal Argumente zu Kenntnis nehmen

    Und da sind wir beim Kernproblem. Egal, wie unrichtig die Gegenargumentation ist und wie oft sie widerlegt wurde - offensichtlich gibt es genügend Leute, die frei jeglicher Intelligenz abstimmen, obwohl sie die unwahren Behauptungen in einfachster Form selbt verifizieren und widerlegen konnten. Siehe als bestes Beispiel "Ich bleibe bei meinen Geschichten".

  • Zufällig ausgewählte Bürger? Mich gruselt es gerade schlimmer, als Halloween je könnte. Die Leute sind dann weder repräsentativ noch fachlich qualifiziert, ja toll. "Legitimiert" durch den "Zufallgott"? Der Würfel soll die Denkarbeit des Souveräns ersetzen? Passt jedenfalls zu den Schuldzuweisungen hier im Thread - wenn das Ergebnis der Abstimmung schlecht ist, sind "die Politiker" schuld. Warum ist der Souverän nicht am eigenen Kreuzchen schuld? Wenn wir für unsere eigenen Abstimmungen keine Verantwortung übernehmen wollen, sind wir letztlich nicht mündig, die Abstimmung überhaupt durchzuführen. Wer Demokratie will, muss sich sein Handeln auch zurechnen lassen.

    fork handles

  • Kann es doch! Die Stadtverordneten in Wiesbaden können es, jederzeit.

    Zunächst einmal sprach ich von direkter, demokratischer Legitimation. Das sind keine Abgeordneten, sondern nur die Wahlberechtigten vor Ort.


    Und zu deiner Aussage: Es wäre mir völlig neu, dass die Stadtverordneten in Wiesbaden eine Planung (rechtssicher) beschließen könnten, die bewusst gegen geltende Gesetze verstößt, weil man in einem Einzelfall davon abweichen möchte. Nach meinem Kenntnisstand würde ein Gericht solch eine Entscheidung kassieren.

    Ich verstehe grade nicht, warum dieses Argument nicht genau gegen deine These spricht.

    Eventuell reden wir aneinander vorbei. Zur Sicherheit: Mit Argument meinst du gerade, dass es Abgeordneten möglich ist, im Parlament weitere Planungsvarianten anzubringen? Mit These meinst du gerade, dass ich mangelnde demokratische Legitimation im Planungsvorgang sehe?


    Vorausgesetzt wir meinen dasselbe: Das Argument spricht aus meiner Sicht für die These weil die neuen Planungsvarianten aus Parteiüberzeugungen resultieren (Park erhalten, verändern ja/nein, Bauweisen offene Baugrube/Tunnelbohrmaschine). Das resultiert nicht aus Ergebnissen von nachträglich erhobenen Befragungen vor Ort.

    Millionen € Planungskosten in den Sand gesetzt. Bis zu welchem Projektfortschritt soll man denn abweichen können?

    Man hätte, um beim Fall Wiesbaden zu bleiben, um Kosten zu sparen, zu einem früheren Zeitpunkt fragen können, ob die Planungen so überhaupt im Detail fortgesetzt werden sollen. Aber sind ein paar Millionen Planungskosten überhaupt relevant im Verhältnis zu den sehr viel größeren Baukosten?


    Teile die Kosten der Planung halt durch die Summe der abgegebenen Stimmen, dann weiß man zumindest, wie viel hier eine Stimme "gekostet" hat. Ich halte den Preis, solch eine - nun nutzlose - Planung bezahlt zu haben, tolerierbar.

  • Ich glaube in einer parlamentarischen Demokratie sollte es mehr Bürgerentscheide geben, aber auch mit einem höheren Quorum: wenn nicht wenigstens 33% für eine der zwei Antwortmöglichkeiten stimmt, dann sollte man davon ausgehen können dass die Frage dem Souverän nicht wichtig genug war als dass man die Entscheidungsgewalt den hierfür gewählten Vertretern entreißen sollte. Der failed State Kalifornien zeigt sehr bedrückend warum man Bürgerentscheide nicht zu einem Vehikel der Aufzwingung von Partikularinteressen winziger Minderheiten verkommen lassen darf.

  • dann hast du scheinbar von meinem Worten auf andere Worte extrapoliert. Und das leider nicht richtig gemacht. 🤷🏽‍♀️

    Dann erzähle uns bitte, wie viele Bürger du zufällig ziehen willst, bis es repräsentativ wird? Umfragen scheinen erst ab 1.000 Leute überhaupt ernst genommen zu werden. Wenn das Panel aber größer als das Stadtparlament werden soll, frage ich mich schon, wozu das überhaupt noch gut sein soll.


    Aber so oder so, nicht gewählte Gremien sind doch keine Demokratieverbesserung.

    fork handles

  • Dann erzähle uns bitte, wie viele Bürger du zufällig ziehen willst, bis es repräsentativ wird?

    Nein. Aber zwei Gedanken für dich: 1.) Im antiken Griechenland wurde gelost. 2.) unser System heißt "repräsentative Demokratie" und kommt in Wiesbaden mit 81 Stadtverordneten aus.

  • Die 81 sind nicht ausgelost sondern gewählt. Wichtiger Unterschied.

    Mein Punkt ist: in unserer repräsentativen Demokratie sind die Parlamente nicht repräsentativ: sie bestehen aus „Repräsentierenden“. Und haben wesentlich größere Repräsentationslücken als aus einem stochastischen Auswahlprozess rauskommen könnte. Wenn du Angst vor Sampling Error hast, kann man Mindestanforderungen daran stellen, wie groß die Mehrheit im Panel sein muss, damit die Entscheidung des Panels gilt.

    Einmal editiert, zuletzt von baeuchle ()