DB Netz muss Schadenersatz für Unpünktlichkeit leisten

  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich ein Urteil verkündet, das neue Maßstäbe für den Schienenverkehr setzt und für die DB Netz AG kurzfristig ziemlich teuer werden kann. Streitgegenstand waren die Schienennetz-Benutzungsbedingungen (SNB), die den Trassenbuchungen der Eisenbahnverkehrsunternehmen zugrund liegen. Geklagt hatte ein EVU, das Verkehrsleistungen im Regionalverkehr der Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erbringt. Aufgrund von Unpünktlichkeit haben der oder die Verkehrsverbünde die Vergütung des EVU gekürzt. Das EVU hat In Höhe dieser Kürzungen (rd. 193.000 € für das Jahr 2013) die DB Netz AG auf Schadenersatz verklagt. Das LG Frankfurt hat die Klage abgewiesen, das OLG Frankfurt die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Der BGH hat jedoch das Urteil des OLG Frankfurt aufgehoben.


    DB Netz hatte argumentiert, die SNB ließen bei Unpünktlichkeit nur eine Entgeltminderung bis 50% des Trassenentgelts zu, Schadenersatz für Vermögensschäden sei ausgeschlossen. Diesem Argument waren LG und OLG gefolgt, der BGH jedoch ließ entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts keinen Ausschluss von Schadensersatzansprüchen für Vermögensschäden zu.


    Das pünktliche Überlassen der Trassen ist vertragliche Hauptpflicht von DB Netz gegenüber dem EVU und darf durch die Gestaltung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nicht ausgehöhlt werden. Nach den Grundsätzen des AGB-Rechts schuldet DB Netz die Überlassung der Trassen so, wie es der Fahrplan vorsieht und haftet grundsätzlich auch für Schäden, die den EVU für Unpünktlichkeit durch Baustellen und Schäden an der Infrastruktur. Wären Schadenersatzansprüche ausgeschlossen, könne sich DB Netz von den Rechtsfolgen einer Schlechtleistung lossagen und damit letztlich auch von der Leistungspflicht selbst. Eine gewisse Schonung erfahre DB Netz bereits durch die 6-Minuten-Pünktlichkeitsregel.


    Es scheint dies nicht der einzige anhängige Prozess dieser Art zu sein, in diesem und zahlreichen anderen Verfahren kommt es jetzt darauf an, ob DB Netz nachweisen kann, dass es die Verspätungen nicht verschuldet hat. Im konkreten Fall hatte der BGH den Rechtsstreit an das OLG Frankfurt zurückverwiesen zur Klärung der Frage, ob die Verspätungen auf einer Pflichtverletzung von DB Netz beruhten. Dazu muss an sich das klagende EVU vortragen, aber rein vorsorglich hat der BGH in seinem Urteil auf seine Rechtsprechung zum Beweis negativer Tatsachen verwiesen, was konkret bedeutet, dass nicht das EVU die Ursache der Unpünktlichkeit beweisen muss, sondern umgekehrt DB Netz darlegen muss, dass eine Verspätung im Einzelfall nicht von Baustellen oder Schäden an der Infrastruktur verursacht wurde, also nicht DB Netz die Verspätung verschuldet hat.


    Wahrscheinlich wird DB Netz langfristig versuchen, die fälligen Schadenersatzzahlungen in die Trassenentgelte einzupreisen, womit sie bei uns "Beförderungsfällen" landen.


    (BGH, Urt. vom 3.2.2021 - XII ZR 29/20)

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  • Hört sich doch vernünftig an. Da die Trassenpreise im NV sowieso von der öffentlichen Hand über das EVU in die im öffentlichen Besitz befindliche DB Netz fließen, landet der Obulus auch letztlich an der sinnvollen Stelle: Wenn wir als Gesellschaft ein ausreichend gut funktionierendes Gleisnetz haben wollen, müssen wir als Gesellschaft dafür auch bezahlen.


    Ob nun das Geld von Ländern oder dem Bund bezahlt wird, halte ich dabei für ziemlich nebensächlich beziehungsweise für eine politisch auszuhandelnde Frage.

  • Aus Sicht der EVU ein gutes Urteil, ohne Frage. Sofern der Mangel auch auf DB Netz zurückzuführen ist. Wenn Verspätungen dadurch verursacht werden, das der NV gegenüber dem FV zurückstecken muss, kann das beliebig kompliziert werden.

  • Letzendlich zwingt das Urteil DB Netz zu einer erhöhten Sorgfalt gegenüber den EVU und letztendlich damit auch gegenüber uns Fahrgästen. Das ist zu begrüßen!


    Mein Vermieter muss ja auch dafür Sorge tragen, dass meine Wohnung benutzbar ist und im Zweifelsfall für den Ausgleich von Vermögensschäden haften. Ist meine Wohnung z.B. wegen einer Baustelle nicht benutzbar, muss er mir z.B. eine zumutbare Ersatz-Wohnmöglichkeit stellen. Zumutbar heißt etwa, in Frankfurt am Main und nicht in Frankfurt an der Oder und auch nicht ein verwatztes Hotelzimmer im Bahnhofsviertel.

  • Aus Sicht der EVU ein gutes Urteil, ohne Frage. Sofern der Mangel auch auf DB Netz zurückzuführen ist. Wenn Verspätungen dadurch verursacht werden, das der NV gegenüber dem FV zurückstecken muss, kann das beliebig kompliziert werden.

    Aber gerade für die Abrechnung zwischen EVU gibt es meines Wissens schon ziemlich genaue Regelwerke. Hier geht es um Probleme mit der Infrastruktur; dass diese auch betrachtet wird, ist neu.

  • Wobei der Schadenersatzanspruch nur dann bestehen dürfte, wenn die zugeteilte Trasse nicht zur Verfügung steht. Da bei Baustellen die EVU ja neue Trassen zugeteilt bekommen, dürfte es dafür nicht automatisch Schadenersatz geben. Das EVU würde in diesem Fall ja auch keine Kürzung des Entgelts erhalten. Somit sind Baustellen nicht automatisch Schadenersatzpflichtig. Kommt es aber durch diese Baustellen zur Verspätungen an der zugeteilten Trasse dürfte wiederum Schadenersatz fällig sein, wenn dem EVU dadurch ein Schaden entsteht.


    Eine Folge könnte ich mir übrigens vorstellen: Bei Baustellen werden zukünftig weniger Trassen zur Verfügung gestellt, um das Risiko von Verspätungen zu reduzieren.

  • Nicht die Baustelle als solche löst eine Schadenersatzpflicht aus, sondern die baustellenbedingte Verspätung von sechs oder mehr Minuten, wenn der Vertrag DB Netz verpflichtet eine bestimmte Trasse zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung zu stellen.


    Vertragsgrundlage zwischen den Parteien war im entschiedenen Fall der Grundsatz-Infrastrukturnutzungsvertrag vom 1.April 2010 mit einer Laufzeit vom 1.April 2010 bis 31.Dezember 2022 nebst den gemäß §1 Nr.3 Grundsatz-INV hierzu abgeschlossenen Einzelnutzungsverträgen.

    Diese definieren bestimmte Trassenzeiten. Daraus ergäbe sich - so die gerichte - die Verpflichtung von DB Netz, die Infrastruktur des Schienennetzes und die Serviceleistung bei der Bewältigung von Störungen so zu erbringen, dass diese Trassenzeiten durch die EVU ein-gehalten werden könnten. In den AGB sei eine Entgeltminderung vereinbart, wenn infolge des nicht vertragsgemäßen Zustands der Schienenwege die erbrachte Leistung nicht unwesentlich von der geschuldeten abweiche. Nach der Nach dern

    Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV) und den SNB sei das Trassenentgelt zu mindern, wenn es infolge

    nicht vertragsgemäßen Zustandes des Schienenweges, der zugehörigen Steuerungs- und Sicherungssysteme sowie der zugehörigen Anlagen zur streckenbezogenen Versorgung mit Fahrstrom zu sechs oder mehr Zusatzverspätungsminuten komme. Daraus ergebe sich, dass Inhalt der Leistungspflicht auch die rechtzeitige Bereitstellung und Befahrbarkeit der Trasse sei. DB Netz schuldet kurz gesagt Pünktlichkeit als vetragliche Hauptpflicht.


    In den Einzelverträgen können die Baustellen ja berücksichtigt werden, denn der interne Baustellenkalender steht schon Jahre vor der Trassenvergabe fest. Nicht umsonst müssen Bauarbeiten 3-5 Jahre vorher angemeldet werden.

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  • Im Prinzip dreht sich alles darum, ob die vertraglich vereinbarte Trasse zum Zeitpunkt der geplanten Zugfahrt zur Verfügung steht. Steht die Trasse nicht zur Verfügung resultiert daraus eine Unpünktlichkeit.


    Für den Schadenersatzanspruch ist dann zu klären, wer für die Verspätung verantwortlich ist. Es gibt ja auch Trassen, die sind nicht möglich, weil der vorherige Zug liegen geblieben ist. Dann ist DB Netz nicht Verursacher. Wird allerdings ein Baufahrplan erstellt, dessen Trassen so geplant sind, dass daraus ein aufschaukeln der Verspätungen resultiert, wird DB Netz nicht so einfach den Schadenersatzanspruch ausräumen können. Da die rechtzeitige Bereitstellung nicht möglich war.

  • Wenn das dazu führt, dass DB Netz mal in der Baustellenplanung mehr als nur eine Baustelle in einem hypothetischen baustellenfreien Restnetz betrachtet und eine integrierte Planung aller Baustellen wenigstens versucht, gewinnen dabei alle.

  • Kann das dann umgekehrt wieder ergeben, dass die DB Netz einem EVU eine Rechnung schreibt, das durch technische Probleme mit einem Fahrzeug eine Strecke blockiert, so dass diese dann dem nächsten Zug (eines anderen Unternehmens) nicht zur Verfügung steht?

  • Kann das dann umgekehrt wieder ergeben, dass die DB Netz einem EVU eine Rechnung schreibt, das durch technische Probleme mit einem Fahrzeug eine Strecke blockiert, so dass diese dann dem nächsten Zug (eines anderen Unternehmens) nicht zur Verfügung steht?

    Das tun sie eh schon.

  • Wäre folgerichtig. In der o.g. Begründung reicht es wohl, wenn die DB Netz nachweisen kann, daß ein Vorfall nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegt. Somit müsste das zwischen EVU und EVU geklärt werden.

    Stellwerksausfälle, Weichen- und Signalstörungen usw. dürften damit aber weitaus unangenehmer werden. Andere EVU werden sich das Urteil vermutlich sehr genau ansehen.

  • Das macht Sinn. Durch solche Störungen klnnenen ja weitreichend auch Umlaufplanungen für Fahrzeuge wie Personal dzrcheinandergeraten und Verspätungen sich durch weitere Teil des EVU fortbewegen.


    Das dürfte DB Netz zu einer verbesserten Bestandspflege zwingen. Das dürfte dann auch Auswirkungen auf die Trassenentgelte haben. Aber lieber höhere Trassenentgelte für ein sehr zuverlässiges Netz als niedrige Trassenentgelte für ein störanfälliges Netz.

  • Andere EVU haben bereits Klagen anhängig gemacht und von demselben EVU dürften Klagen für nachfolgende Zeiträume (im entschiedenen Fall gings um 2013) schon anhängig sein, die Verfahren wurden aber zum Ruhen gebracht wurden bis zu dieser Entscheidung des BGH, die eine grundsätzliche Klärung bringt,.

  • Ich denke das Urteil wird sich positiv auf die Bemühungen aller Beteiligten auswirken. Bisher gab es scheinbar keinen Anreiz bei der einzigen Instanz, die diese Art von Störungen vorbeugen oder beheben darf/kann. Die Auffassung, dass die tatsächlichen Kosten (Schaden aller Beteiligten) nicht unmittelbar in der Bilanz des Infrastrukturbetreibers auftauchen sollen, würde bedeuten, dass man die Ausfälle als unvermeidbar annimmt.

    Ich begrüße daher ausdrücklich die Haftungspflicht für DB Netz, da sie betriebswirtschaftliche Anreize zur Minimierung dieser vermeidbaren Störungen schafft.

    Ob die Bilanz von DB Netz nach dem Urteil noch stimmt und die Trassenpreise angehoben werden (müssen), ist meiner Meinung nach unerheblich, denn den Schaden mussten die EVU bis jetzt auch tragen (in dem Sinne, dass Sie ihre Entgeldminderungen nicht als Schadensersatz durchreichen konnten), mit dem Unterschied, dass mit dem Urteil Kostenoptimierungspotential an einer effektiven Stelle geschaffen wird.

  • Die Frage ist, ob das nicht insgesamt ein Nullsummenspiel ist bzw. für einige EVU auch nicht hinten losgeht. Denn wenn EVU 1 seinen Schadensersatzanspruch an den Netzbetreiber (der ja nicht unbedingt nur DB Netz sein muß, es gibt ja auch noch andere) übermittelt und der feststellt, daß die Ursache bei EVU 2 wegen Zug kaputt liegt, reicht er das gerade durch.


    In der Konsequenz könnte das sogar heißen, daß es für den Fahrgast als Endkunden noch schlechter werden kann, weil damit das Abwarten von Anschlüssen praktisch verunmöglicht wird. Denn jede Minute, die das EVU x irgendwo rumsteht, könnte bedeuten, daß dadurch das EVU y ausgebremst wird und damit die an Netz übermittelte Forderung an x weitergereicht wird.

  • wenn EVU 1 seinen Schadensersatzanspruch an den Netzbetreiber (der ja nicht unbedingt nur DB Netz sein muß, es gibt ja auch noch andere) übermittelt und der feststellt, daß die Ursache bei EVU 2 wegen Zug kaputt liegt, reicht er das gerade durch.

    aber diesen Teil gibt es doch schon längst, dachte ich. ?

  • Bezüglich der Berechnung der Trassenentgelte, ja. Aber die angesprochenen Schadensersatzforderungen durch andere EVU meines Erachtens nicht (...)

    Das ist ein interessanter Punkt, der mir so nicht bewusst war.


    Ich denke die Sache ist Ihrer Natur nach ein Nullsummenspiel, da der Schaden unbestreitbar durch die Entgeldminderung besteht. Die Frage ist nur, wer die (direkten) Kosten trägt.

    Dass es einige EVU härter trifft wird hier in Kauf genommen, um ein anreizkompatibles System durchzusetzen. Zusätzlich zu dem von dir angesprochenen Fall gibt es sicher auch EVU, die verspätungsarme Trassen nutzen und daher nicht von Schadensersatzansprüchen profitieren, aber die höheren Trassengebühren trotzdem zahlen müssen.


    Für Maßnahmen zur Eindämmung der negativen Effekte fehlt mir leider die Detailkenntnis, allerdings denke ich, dass die Änderung effektiv bezüglich der nachhaltigen Reduzierung von Verspätungen sein wird.

  • weil damit das Abwarten von Anschlüssen praktisch verunmöglicht wird.

    Das sehe ich auch so. Damit wird es zukünftig keine Anschlusssicherung mehr geben. Es wird nur noch der Fahrplan des jeweiligen Zuges zählen.
    Da kann man dann auch schön die Rücklichter beobachten.


    In einigen Regionen handelt man bereits so.