Schweres Seilbahn-Unglück in Norditalien

  • Gestern Mittag hat sich in Norditalien nahe dem Lago Maggiore ein schweres Seilbahn-Unglück ereignet, bei dem 14 Menschen starben. Nach ersten Ermittlungen hat sich nahe der Bergstation ein Stahlseil gelöst, worauf die Kabine in die Tiefe stürzte. Ich verlinke hier einmal auf eine Webseite des ZDF als einem der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender:

    https://www.zdf.de/nachrichten…unglueck-italien-100.html


    Natürlich möchte ich hier auch Trauer für die Opfer ausdrücken.

  • Wohl leider, wie es derzeit aussieht, mindestens fahrläßige Tötung.


    Alleine die Tatsache, daß das Zugseil (ab-)reißen konnte ist schon mal ein dicker Hinweis auf mangelhafte Betriebsabläufe.

    Die Fangbremse der Kabine war jedoch absichtlich mit Krallen außer Betrieb gesetzt. Es gab wohl morgens ein Problem beim Testlauf und man wollte die Wiedereröffnung nicht verschieben (Sonntag und schönes Wetter)

    Ein Beitrag in einem Seilbahnforum (ich finde ihn leider grade nicht) hat mit Fotobeweisen dokumentiert, daß es schon seit mindestens 2014 Praxis war, mit geklammerten Fangbremsen Fahrgäste zu beförden.


    4 Mitarbeiter sind vorläufig festgenommen. Mal schauen wie das weitergeht...

    "Der Mensch, der so ehrbar im Einzelnen, aber so miserabel im Ganzen ist."
    Johann Wolfgang von Goethe

  • Und am Ende des Tages werden wieder neue Sicherheitsrichtlinien erlassen unter denen dann wieder alle leiden müssen. Es ist wirklich eine Schande, dass Menschen aus Profitgier (denn nichts anderes ist das ja schlussendlich) auch in diesen Zeiten sich zu so einer Dummheit hinreissen lassen. Das Mitgefühl mit den Hinterbliebenen ist da noch höher, denn das ist genauso vermeidbar wie Opfer bei illegalen Autorennen.

  • Wissen wir denn eigentlich, dass das Seil wirklich gerissen ist? Ich habe keinen Tatsachenbericht gefunden, der sagt, dass das Seil wirklich gerissen ist, und erst recht keinen, der sagt, dass das ursächlich war.


    Was mich hier aber (unter dem Aspekt von Sicherheitsphilisophien im Allgemeinen) interessiert, ist die Frage, was der Grund für die vorangegangenen Notbremsauslösungen war. Denn Geschwindigkeitsüberschreitungen waren es wohl eher nicht.

    Dass eine Häufung von (fehlerhaften oder nur etwas vorzeitigen) Notabschaltungen zu "innovativen Problemlösungen" führt, ist nun nichts ganz Neues. Hier war vermutlich auch eine selektive Abschaltung von Sicherheitssystemen nicht vorhanden oder nicht dem Personal bekannt, so dass man gleich zu einer rabiaten mechanischen Abschaltung greifen musste.


    Was mir noch fehlt ist der Zusammenhang zwischen den fehlerhaften? Notbremsauslösungen und dem wirklichen Schaden. Denn ein Seilriss sollte halt WIRKLICH nicht passieren, und schon gar nicht bei der einen Bahn, wo jemand die Bremse abgeschaltet hat.

    Oder die Außerkraftsetzung eines solchen Bremssystems ist extrem häufig, und sie hatten nur das Pech, dass wirklcih mal ein Seil versagt hat...

  • Dass eine Häufung von (fehlerhaften oder nur etwas vorzeitigen) Notabschaltungen zu "innovativen Problemlösungen" führt, ist nun nichts ganz Neues. Hier war vermutlich auch eine selektive Abschaltung von Sicherheitssystemen nicht vorhanden oder nicht dem Personal bekannt, so dass man gleich zu einer rabiaten mechanischen Abschaltung greifen musste.

    Das irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen greifen, hat schon seinen Sinn. Eine Abschaltung oder Überbrückung ist meistens dann erst der "Auslöser" von Unfällen, nichtdie Ursache.

    Wenn das der Fall war, dass Vorkommnisse eben zu Notabschaltungen geführt haben, haben eben jene diese genau das getan, was sie sollten: Unfälle verhindern. Diese in irgendeiner Form zu Überbrücken ist Symptome zu kaschieren, nicht die Ursache abstellen.

    Spekulation: Eventuell haben diese Vorkommnisse dazu geführt, daß das Seil gerissenen ist.

  • Da ich selber auch nicht zu viele Details zur Praxis vor Ort kenne möchte ich mich was die Ursache der Überbrückung angeht nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

    Es war aber wohl eine hydraulisch ausgeführte Fangbremse, die nach besagtem Forum (ich muß das echt mal raussuchen) unnötig kompliziert aufgebaut sei. Etwas mit unnötig vielen Bauteilen geht erfahrungsgemäß häufiger mal auf Störung als etwas einfacher aufgebautes - aber das ist wie gesagt Spekulatius und mit Vorsicht zu genießen.

    Es war nebenbei zuläßig eine leere Kabine geklammert zu betreiben - zum Beispiel um bei der letzten Fahrt des Tages den Maschinisten im Einmannbetrieb mit Steuerung aus der Gondel eine sichere Fahrt zu erlauben. Wäre doof wenn man alleine ist und in der anderen Kabine löst die Fangbremse aus...

    Wenn die simple Erklärung am Ende wäre, daß man einfach zu faul war/vergessen hat nach der ersten Bergfahrt die Klammern wieder zu entfernen, dann gute Nacht...


    Die Frage die noch im Raum steht ist, ob das Seil aus dem Klemmschuh an der Gondel gerutscht ist oder irgendwo unterwegs gerissen ist. Laut ersten Zeugenberichten hat man das Zugseil mit hoher Geschwindigkeit durch die Bergstation zischen hören, aber auch hier kann die Ursache dafür an mehreren Gründen liegen.

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  • Das irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen greifen, hat schon seinen Sinn. Eine Abschaltung oder Überbrückung ist meistens dann erst der "Auslöser" von Unfällen, nichtdie Ursache.

    Die hatten bestimmt alle ihren Sinn. Die Frage ist lediglich, welche Möglichkeiten dir bleiben, wenn die Kiste mal wieder bockt.

    "Den Betrieb einstellen" ist sehr sicher, hätte man aber auch prophylaktisch tun können. Bei allen Anlagen und allen Verkehrsmitteln.

    Es braucht also nach eine Störung einen zweckmäßigen Weg, sie zu beseitigen. Ein modernes Störmeldesystem zeigt exakt an, welches Ereignis eine Störung verursacht hat... Und liegt dabei manchmal falsch. Und dann steht man blöd da.

    Störungen die eine klar erkennbare und behebbare Ursache haben, werden behoben und ziehen keine Nachrichten nach sich.

    Wenn jetzt die Störungsbehebung versagt, steht man blöd da. Mit etwas Pech tritt der Fehler auch noch bei enier Leerfahrt nicht auf.


    Nur mal angenommen: Wir haben eine Bremse, die auf "schlaffes Seil" und auf "zu hohe Geschwindigkeit" reagiert. Jetzt treten Auslösungen der Bremsanlage auf, die Fehlauslösungen zu sein scheinen. Diese Aussage kann korrekt sein oder auch nicht, es tut nichts zur Sache (meistens sind Auslösungen von Sicherheitssysteme keine Fehlauslösungen, es war lediglich dem verfügbaren Personal nicht möglich, die Ursache zu finden. Das löst aber das Problem nicht, denn die Anlage soll ja betrieben werden).

    Irgendwann sind die Optionen alle, und dann ist die Wahrscheinlichkeit von leichtsinnigen Entscheidungen stark erhöht. Wenn es jetzt genau einen Knopf gibt, an dem "Benutze mich NIE" steht, wird man es irgendwann doch tun.

    Wenn es jetzt einen Knopf "Deaktiviere Schlaffseilbremse" gäbe, wüsste man nach ein paar Wochen immerhin mit Gewissheit, wo die Ursache liegt. Und nebenbei wäre eine entlaufene Kabine aufgrund überhöhter Geschwindigkeit immer noch gebremst worden.

    Natürlich liegt die Schuld immer bei dem, der derart leichtsinnig mit Menschenleben spielt. Wenn man sich darauf ausruht, dass es niemals zulässig gewesen wäre, diese Klammer zu stecken, macht man es sich aber zu leicht.


    Entsprechende Diskussionen gab es äquivalent auch bei Fahrten auf Ersatzsignal.

  • Entsprechende Diskussionen gab es äquivalent auch bei Fahrten auf Ersatzsignal.

    Was die Erkennung und Beseitigung von Fehlern angeht, stimme ich Dir in vielen Punkten zu.


    Der letztgenannte Punkt ist meines Erachtens aber nicht vergleichbar. Denn es gibt einen eindeutigen Unterschied zwischen "Der Bremskeil darf im Fahrgastbetrieb nie genutzt werden" vs. "Das Ersatzsignal darf nach Vorbedingungen genutzt werden". Das eine ist nämlich ein nicht umgehbare und nicht mehrstufige Vorschrift/Verfahrensanweisung, das andere "nur" eine Vorschrift, die das Abarbeiten einer Liste von Tätigkeiten voraussetzt (die u. U. menschlich bedingt fehlerhaft sein kann).


    Vergleichbar wäre das allenfalls, wenn die Vorschrift so a la "Mit unwirksamer Seilbremse darf gefahren werden, wenn a) das Seil vor Betrieb auf Risse geprüft wurde, b) die Rutschkupplung des Antriebs vor dem Betriebstag getestet wurde, c) maximal fünf Fahrgäste pro Fahrt befördert werden, d) der Leitstand doppelt besetzt ist etc." lauten würde.


    Um in den Straßenbahnbereich zu gelangen: Ich gehe davon aus, daß es z. B. bei der VGF bestimmt intern eine Vorschrift gibt "Bei notgelösten Fahrzeugen (in Traktion) ist kein Fahrgastbetrieb zulässig" oder so ähnlich. Das ist absolut und nicht umgehbar.