Konkurrierende Konzepte zur Zukunft: mofair und Bahn für Alle

  • Ich glaube, hier passt es am Besten rein: Prof. Dr. Christian Böttger von der HTW Berlin hat ein Kurzgutachten im Auftrag des Bundesverbands SchienenNahverkehr über „Marktmodelle zur Organisation des Deutschlandtaktes“ erstellt. Das Papier ist 16 Seiten kurz und wert, durchgelesen zu werden. (In den Zitatausschnitten sind alle Hervorhebungen von mir.)


    Der Autor findet Wettbewerb zwar im Prinzip gut, aber singt kein uneingeschränktes Loblied darauf:

    Das Marktmodell für den SPNV hat sich bewährt. Die Verkehrsleistung ist absolut um rund 50 % angestiegen, der Marktanteil ist in einem schwierigen intermodalen Wettbewerbsumfeld deutlich gestiegen. Anzumerken ist, dass seit etwa drei Jahren zunehmend Probleme zu beobachten sind. U. a. aufgrund starker Lohnkostensteigerungen sind etliche Betreiber aktuell nicht mehr in der Lage, profitabel zu arbeiten; einige Akteure prüfen derzeit den Marktausstieg.


    In vielen Punkten lässt sich die Entwicklung im SPNV als Lehrbuchbeispiel für ökonomische Mechanismen verstehen. Der Wettbewerb hat innovative Ideen in den Markt gebracht. Bei attraktiven Vergabeverfahren mit vielen Bietern sanken die Preise. Bei Verfahren mit nur einem Bieter liegen die Preise teilweise deutlich höher.

    Für den Deutschlandtakt sieht er rechtliche Probleme und wundert sich über das BMVI:

    Kommunikativ betreibt das BMVI einen Spagat. Einerseits werden die in Aussicht stehenden Angebotsverbesserungen aus dem Deutschlandtakt als politische Leistung des Ministeriums und des Ministers dargestellt, andererseits wird in den Textveröffentlichungen deutlich formuliert, dass der Deutschlandtakt „kein rechtlich verbindliches Bedienangebot“ darstelle und dass die EVU für die Umsetzung verantwortlich seien.


    Insgesamt wird allerdings in den Unterlagen zum Deutschlandtakt deutlich, dass sich derzeit auch das BMVI nicht sicher ist, ob der Deutschlandtakt mit der heutigen Rechtslage kompatibel ist. Die Vorfestlegung der Trassennutzung bereits in der Bauphase könnte im Widerspruch stehen zu den bestehenden europäischen und deutschen Regeln zur Trassenvergabe.

    Er stellt dann verschiedene Marktmodelle vor und kommentiert sie:

    • Nullfall: kein Marktmodell, wie das BMVI behauptet, dass es möglich wäre. (Er ist skeptisch)
    • Minimalmodell: Abwarten und Tee trinken. „Der Ansatz ist eher reaktiv und nicht dazu geeignet, eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene zu fördern.“ Mögliche Ausgestaltungen:
      • Trassenvergaberecht anpassen
      • Bundesfinanzierung bestimmter Angebote befristet zulassen
      • Ganz lieb bitte bitte sagen, damit die DB Fernverkehr vielleicht doch eigenes Geld verbrennt, um Chemnitz anzubinden
      • Noch mehr Murks mit Fernverkehr-Nahverkehr-Kopplung
    • Marktmodelle mit wettbewerblicher Vergabe: Hier führt er EU-Recht an: „Grundsätzlich besteht EU-weit eine Ausschreibungspflicht für subventionierte Verkehrsleistungen. [… Es] sprechen gewichtige Gründe dafür, das heutige Marktmodell anzupassen.“
      • Netzkonzession: Alles an einen Anbieter
      • Netzkonzession mit Vergaben im Ergänzungsnetz
      • „Vergabe von Linienbündeln“ (Fahrzeuge und Betrieb integriert)
      • „Vergabe von Linienbündeln mit separater Vergabe Fahrzeugbereitstellung“

    Ein übergreifender, anbieterunabhängiger Vertrieb wird als zentral wichtig herausgestellt:

    Unabhängig von dem gewählten Marktmodell stellt sich bei der Vergabe von Fernverkehrsleistungen die Frage nach der Gestaltung der Vertriebsfunktionen.[…] Die staatliche Stelle, die die Ausschreibung organisiert, sollte hinsichtlich des Vertriebes bestimmte Vorgaben machen. Hierzu gehören insbesondere

    • Beteiligung des Betreibers an einem nationalen Buchungssystem, das durchgängige Buchungen ermöglicht
    • Das Grundkonstrukt eines nationalen Ticketsystems sollte – analog zu den Regelungen im SPNV
      – auf einem Grundpreis beruhen, mit dem der Fahrgast jeden beliebigen Zug nutzen kann. Basierend darauf sollte jeder Betreiber die Möglichkeit haben, günstigere Preise mit Zugbindung anzubieten.
    • Anerkennung von BahnCards etc.
    • Ein Mindestangebot an günstigen Tickets
    • Ggfs. Vorgabe neuer Ticketformen durch den Staat, z.B. bundesweite Pauschaltickets

    Aus diesen Vorgaben ergeben sich weitgehende Gestaltungsoptionen für die Betreiber. Zugleich müssen bestimmte Schnittstellen geplant werden.

    […]

    In der heutigen Marktordnung ist der DB Navigator Eigentum eines der Akteure. Die zuvor skizzierten wettbewerblichen Marktmodelle würden es erforderlich machen, dass alle Betreiber ihre Angebote über eine einzige Plattform vermarkten können. Deshalb muss der Navigator – oder ein Nachfolgesystem – zwingend marktneutral aufgestellt werde

    Desweiteren stellt das Gutachten Überlegungen an, welche Stelle denn den SPFV bestellen könnte und wie diese Stelle organisiert sein könnte.


    Wie gesagt, Volltextlesen lohnt sich.

  • Machen wir einen (Fernverkehrs)verbund Deutschland und bestellen einfach dei Leistungen :D

    In god (an invention by mankind) we trust - on earth we don't


    Sincerly yours, NSA
    powered by US government

  • Schauen wir doch einfach in die Schweiz, wie die es machen. Bei den läuft das, was wir mit dem "Deutschlandtakt" für 2ß30+ anstreben, bereits jetzt weitgehend. Zusätzlich deutlich weitere Barrierefreiheit und mehr Pünktlichkeit. Und auch da gibt es private bzw. kantonale Bahn-Unternehmen wiew die RhB, die MGB oder die BLS.


    Zugegebermaßen ist die Schweiz kleiner als Deutschland, aber etwa von Genf nach Zürich ist es auch deutlich weiter als von Kassel nach Bensheim und echter Fernverkehr. Und die haben noch jede Menge internationalen Verkehr, z.B. mit Deutschland. :)

  • Ein übergreifender, anbieterunabhängiger Vertrieb wird als zentral wichtig herausgestellt:

    Auf jeden Fall! Eigentlich heißt das, dass der Vertrieb (in Form der DB Vertrieb GmbH) Teil der Eisenbahn-Infrastruktur ist. Wichtig ist hier aber, dass der Innovationsdruck irgendwie aufrecht erhalten wird und die Digitalisierung nicht einschläft. Das wir schwierig zu erreichen sein.

  • Schauen wir doch einfach in die Schweiz, wie die es machen.

    Dann erhelle uns doch auch Mal über das „da ist alles toll“ hinaus!

    Es gibt keine rechtliche Unterscheidung zwischen Regionalverkehr und Fernverkehr.

    Die SBB hat eine Konzession für das gesamte Netz, Start 2017, von dem sie Teile weitergibt. Wie festgelegt wurde, welche Teile und am wen: keine Ahnung. Soweit ich weiß, kommt die gesamte Angebotsplanung vom Bund; welche Rolle Kantone und Gemeinden bei Angebotsplanung und -ausgestaltung im ÖV haben, weiß ich nicht. Auch die Planung, Durchführung und Finanzierung von Bauvorhaben kenne ich nicht.


    Also, Ost-West-Express , your time to shine. Mach Mal mehr als „da ist alles besser“. Erklär uns, wie es ist.

  • Mein Satz ist sarkstisch gemeint. Schaut man mal über den Ärmelkanal so sieht man zu welcher

    Qualität und Problematik sowas führt. Und auch hier in D hatten wir schon im Nahverkehr genug

    Paradebeispiele zu welchem Service Ausschreibungen führen können.


    (https://en.wikipedia.org/wiki/…nchising_in_Great_Britain)

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  • sowas

    Sowas. Soso. Was du verlinkst, ist nicht das, was hier geplant ist. Nichts, was im Papier überhaupt nur diskutiert wird. Im Gegenteil: aus der Erfahrung lernend schwenken die Briten laut diesem Wikipedia-Artikel auf ein Konzessionierungssystem um. Also auf ,„sowas“.

    Einmal editiert, zuletzt von baeuchle ()

  • Dann erhelle uns doch auch Mal über das „da ist alles toll“ hinaus!

    Es gibt keine rechtliche Unterscheidung zwischen Regionalverkehr und Fernverkehr.

    Die SBB hat eine Konzession für das gesamte Netz, Start 2017, von dem sie Teile weitergibt. Wie festgelegt wurde, welche Teile und am wen: keine Ahnung. Soweit ich weiß, kommt die gesamte Angebotsplanung vom Bund; welche Rolle Kantone und Gemeinden bei Angebotsplanung und -ausgestaltung im ÖV haben, weiß ich nicht. Auch die Planung, Durchführung und Finanzierung von Bauvorhaben kenne ich nicht.


    Also, Ost-West-Express , your time to shine. Mach Mal mehr als „da ist alles besser“. Erklär uns, wie es ist.

    Naja, so wie du die Situationin der Schweiz beschriebst, so sollte es auch bei uns sein;).

    Aber ist nicht...

  • Naja, so wie du die Situationin der Schweiz beschriebst, so sollte es auch bei uns sein;).

    Aber ist nicht...

    Vor allem ist meine Beschreibung nicht vollständig. Und was heißt es auf Deutschland bezogen? Aller Schienenverkehr wird in Berlin geplant und bestellt? Regionalverkehr auch?

    Also es wird so etwas gebraucht wie eine "Bundes-TraffIQ" ^^. Spaß aber eine Bundesweite Aufgabenträgerorganisation. Wieso wir das Rad neu erfinden müssen, okay, gut aber eine Staatsbahn wäre besser.

    Welches Rad wird neu erfunden? Was macht eine Staatsbahn für dich aus? Das Konzept der Schweiz beinhaltet ja durchaus, dass das Netz in einem Wettbewerb konzessioniert wird. Ist das nun keine Staatsbahn? Oder ist das das „besser“ einer Staatsbahn – aber besser als was, dann? Besser als ein im Wettbewerb konzessioniertes Netz in Deutschland?


    Die Fragen kommen dabei nicht von ungefähr: dieses „in der Schweiz ist alles toll und deswegen ist es falsch, X zu tun“ ist mindestens unvollständig, wenn man kein Verständnis darüber hat, was die Schweiz genau tut.


    (Ebenso wie „aus Wettbewerb jeglicher Art folgt unweigerlich Großbritannien“ Unsinn ist – genauso sinnvoll kann man argumentieren „aus Wettbewerb folgt Schweiz“.)

  • Dortelweiler hat schon für mich geschrieben - danke! :)


    Auch bei uns verschwimmt praktisch die Grenze zwischen Regional- und Fernverkehr. Früher waren es mal 50 km - die Edmundsonschen Pappkärtchen für größere Entfernungen erhielten dann eine rosa Streifen am Rande für einfache Fahrt und in der Mitte für Hin- und Rückfahrt. Heute runterscheidet die Bahn ja schon in ihren Tarifen unter und über 100 km und praktisch nach Zuggattung - pardon "Produkt" , obwohl die sich mitunter nur noch durch weiße oder rote Farbgebung unterscheiden.


    Wohnungsmärkte und Zuggeschwindigkeiten lassen die Grenzen auch bei uns immer mehr verschwinden.


    Ich weiß nicht, wie es in der Schweiz ist, könnte mir aber vorstellen, dass die Kantone ihre regionalen Zugangebote selbst bestimmen. Etwa, wie oft die Rhätische Bahn durch Graubünden, der Thurbo durch den Thurgau und St. Gallen und der Leman-Express durch den Großraum Genf fahren.


    Zumindest meine Erfahrungen von meinen Zugreisen durch und in die Schweiz waren alle sehr angenehm. Ausgezeichneter Service, sehr gutes Zugangebot, dichtes Streckennetz und sehr gute Vernetzung mit den übrigen öffentlichen Verkehrsmitteln. Dass das Ganze deutlich teurer ist als bei uns, rechne ich eindeutig der Währungsrelation zu: In der Schweiz ist alles 50 - 80 % teurer als bei uns, die Einkommen allerdings auch. :)Im Verhältnis zum Einkommen erhalten die Schweizer in etwa für den gleichen Preis deutlich bessere Qualität. Und damit meine ich nicht den Blick aus dem Zugfenster auf die Schweizer Berge. :) Autofahren mag auch im Verhältnis deutlich teurer sein als bei uns, erst recht bei Verkehrsverstößen. :P

  • Ich sehe kein Hindernis weshalb nicht die "komplette Bahn" aus Berlin geplant wird. Mit Unterstützung der Verkehrsverbünde die im Regionalverkehr jedoch nicht als Auftraggeber auftreten. Gut, da wir aber das EU Recht haben ist es sowieso obsolet.

    Also entweder wird eine bundesweite Aufgabenträgerorganisation mit schickem Namen gegründet, welche die Fahrpläne und den Vertrieb organisiert (gemeinwohlfinanziert) und eine Infrastrukturgesellschaft. Dafür lässt man die DB hops gehen und alle EVU's machen dann ihr Ding im Wettbewerb.

    Sicher ist dann eines: Viele Reservezüge/ -waggons die kurzfristig als Ersatz im Fernverkehr eingesetzt werden können, wird es nicht mehr geben.

    Jedes EVU wird seine eigene betriebliche Leitstelle haben, wie es schon im Nahverkehr ist (S-Bahn, RE's) welche sich um Personal, SEV und Co kümmert.

    Ob eine bundesweite Aufgabenträgerorganisation für den Fernverkehr überhaupt möglich ist, weiß ich so nicht.

    Was unbedingt vermieden werden sollte, ist diese Kleinstaaterei wie es sie schon auf lokaler Ebene gibt.

    Die Theorien von Friedrich List finden heutzutage leider keine Beachtung mehr.

  • Ob eine bundesweite Aufgabenträgerorganisation für den Fernverkehr überhaupt möglich ist, weiß ich so nicht.

    Lies doch vielleicht das Gutachten.


    Und erkläre, warum die DB „hops gehen“ würde? Es gibt ja auch in der Schweiz eine Aufgabenträgerorganisation außerhalb der SBB und siehe da: es gibt die SBB weiterhin!


    Was die schlimmen getrennten Leitstellen angeht: das ist schon innerhalb der DB AG ein Problem; der integrierte Konzern hilft exakt null.

  • Lies doch vielleicht das Gutachten.


    Und erkläre, warum die DB „hops gehen“ würde? Es gibt ja auch in der Schweiz eine Aufgabenträgerorganisation außerhalb der SBB und siehe da: es gibt die SBB weiterhin!


    Was die schlimmen getrennten Leitstellen angeht: das ist schon innerhalb der DB AG ein Problem; der integrierte Konzern hilft exakt null.

    Und da hast du recht, die getrennten Leitstellen sind das Problem. Und zwar die Organisation dieser.

    Unter der Bundesbahn war quasi die DB Netz alles, sprich den Lokführer:innen auch weisungsbefugt. Also auch deren Vorgesetzten. Das ist heutzutage nicht so. Die DB Netz ist für die Strecken zuständig und die betrieblichen Leitstellen für alles andere: Personal, Wagenverwaltung, Störfallmanagment usw.

    Zu Bundesbahnzeiten kam alles aus einer Hand.

    Ähnlich läuft es im städtischen Nahverkehr in Frankfurt: Gegenüber den U- und Straßenbahnfahrer:innen weisungsbefugt, gegenüber Busfahrer:innen nicht sondern nur Hinweiser:in.

    Im Falle der Bahn zieht sich die Kommunikation zwischen der DB Netz und den betrieblichen Leitstellen von DB Regio, HLB und Co, sie läuft sehr bürokratisch ab um nicht zu sagen ineffizient.

    Die DB Netz meldet nur die gestörten Streckenabschnitte und den Rest machen die betrieblichen Leitstellen. Die betrieblichen Leitstellen gucken wie umgeleitet werden kann und dann wird der DB Netz der Vorschlag unterbreitet. Das geht so hin und her mit allen betrieblichen Leitstellen und der DB Netz.

    Ja ich gebe dir recht das es ineffizient ist.

    Gerade im Störungsfall ist ein schnelles Handeln wichtig.

    Aktuell ist es so, dass jedes EVU auch seinen eigenen SEV bestellt. Das klappt vielleicht in Grävenwiesbach aber auf Strecken wo verschiedene EVUs unterwegs sind nicht. Bzw es gibt ein größeres Chaos.

    Und das ganze muss noch an die 3S Zentrale übermittelt werden die die Fahrgastinfo aufsetzt.

    Und was ist jetzt besser für den Betrieb? Alles aus einem Hut oder so halb ausgegorene Konzepte?

    Ich sehe das Problem eher darin, dass zu viele branchenfremde Maßnahmen festlegen, die dann von den Betrieben oder Eisenbahnen umgesetzt werden müssen.

  • Vielleicht kann ja ein Blick aufs Straßenwesen helfen. Da gibt es 4 Stufen der Zuständigkeiten, von den Bundes-Fernstraßen über Landes- und Kreisstraßen bis zu den Gemeindestraßen. Innerhalb dieser Zuständigkeiten wird auch der Straßenbetrieb zunächst geführt, und Umleitungen bei Störungen entsprechend der Zuständigkeiten abgestimmt. Für jeden Autobahn-Abschnitt gibt es mit "U xyz" beteichnete Umleitungen über nachgeordnete Bundes- und Landesstraßen. Die werden dann bei Bedarf genutzt.


    So ähnlich könnte es bei der Bahn auch laufen. Da würde ich allerdings die erste Ebene oberhalb der Deutschen Bahn ansetzen - bei einer europäischen Schienennetzverwaltung. Die organisiert dann - vorzugsweise entlang der so festgelegten trans-europäischen Korridore - Ausbau und Betrieb eines europäischen Streckennetzes. Damit können dann auch Standards, z.B. hinsichtlich Stromsystemen, Signalen etc. harmonisiert werden. Dann könnten internationale Züge etwas einfacher durch unseren Kontinent fahren, und auch das Material an Fahrzeugen und begleitender Infrastruktur ließe sich auf einheitliche Standards festlegen. Dann könnte eine auf diesen Standard festgelegte Lok von Stockholm bis Cadiz fahren, und von Athen bis Edinburgh, und es könnten - theoretisch - auch die gleichen Triebfahrzeugführer sein mit einheitlicher Ausbildung "EU" (einschließlich Schweiz :)) und deren wechsel lediglich von den Arbeitszeiten bzw. Betriebszeiten abhängen.


    Zweite Stufe wären dann die Staatsbahnen ohne trans-europäische Netzbedeutung. Das könnten dann etwa Strecken wie die Main-Weser-Bahn oder die Strecke Frankfurt - Siegen - Ruhrgebiet - Norddeich sein. Deren Nutzung als Ausweichstrecke bei Störungen z.B. der trans-europäischen Strecken wird in entsprechenden Protokollen geregelt - auch für den umgekehrten Fall - und - endlich - auch die benachbarten Staatsbahnnetze bei Störungen.

    Da könnte dann etwa bei einer längeren Störung auf der badischen Rheinstrecke auf die parallele elsässische Rheinstrecke ausgewichen werden.


    Womit wir dann endlich auf europäischer Ebene dort wären, wo sich vor rund 150 Jahren die Eisenbahnen in Deutschland waren, alsausden einstigen Länderbahnen die deutsche Reihsbahn wurde.


    Auf der dritten Ebene gäbe es dann Regional- und Länderbahnen. Genauso wenig, wie in Berlin oder Wiesbaden über die Ausbesserung einer Anliegerstraße oder eines Feldweges in der Wetterau entschieden werden muss, braucht der Betrieb etwa der Taunusbahn - oder auch der Kurhessenbahn - dort entschieden zu werden. Für gemeinsam genutzte Strecken des übergeordneten Verkehrs wie auch der Schnittstellen muss es natürlich eindeutige, klare und überschaubare Regelungen geben.


    Praktischerweise schließen sich die europäischen Bahnen auch für den Betrieb eines eigenen trans-euopäischen Personenverkehrs zusammen. Ansonsten könnten sie sich natürlich auch dank einheitlicher Standards gegenseitig Konkurrenz machen, und FlixTrain dürfte auch noch mitmischen :).

  • Ganz ehrlich: Will man über Klimaziele, Klimawandel reden usw. sollte vielleicht auch eine gesamt europäische (EU) Staatenbahn geschaffen werden. So hätte die EU ein wichtiges Instrument an der Hand gegen den Klimawandel.

  • Das habe ich im ersten Satz meines letzten Absatzes nahegelegt. In welcher Form, mag weiter diskutiert werden.


    Grundlage werden die einheitlichen Standards im "Europa-Netz" und praktischerweise auch in den "Einzel-Staatsnetzen" sein, damit es möglichst durchgehende Personen- wie Frachtzüge ohne umständliche Fahrzeug-, Personal- oder Softwarewechsel geben kann. Auf dieser Basis könnten dann sowohl bisherige Staatsbahnen wie private EVU wie z.B. FlixMobility mit ähnlichem Gerät unterwegs sein. Tun sie ja jetzt schon, vom Desiro bis zur Vectron-Lok oder Velaro-ICE3 sind diese Fahrzeuge unterwegs, allerdings in den Einzelnetzen an die unterschiedlichen Standards angepasst.


    Es würde sich anbieten, dass die Einzelstaaten bzw. deren Bahnen wie schon vor über 60 Jahren beim TEE zusammenschließen, um ein gemeinsames Konzept zu entwickeln. Wie damals sollte die Schweiz selbstverständlich dabei sein, Norwegen gehört praktischerweise auch dazu. Und auch eine enge Zusammenarbeit mit den angrenzenden Bahnen in Ost- und Südosteuropa erscheint sinnvoll.


    Im Gegensatz zu damals wäre das nicht nur ein einzelnes Prestige-Produkt, sondern ein europaweites Netz- und Betriebskonzept. Da wären dann außer den technischen Standards auch Bedienungsstandards, z.B. die Taktfolge, festzulegen. Nach dem Debakel der EU-Impfstoff-Bestellung vor einem Jahr frage ich mich, ob im gegenwärtigen Zustand eine zentrale EU-Bestellung die beste Idee wäre. Ich könnte mir folgende Abstufung vprstellen:


    - "EuropaBahn" als Kooperation der Bahnen, die einen gewissen Grundstock an Fahrzeugen und Material anlegt;

    - die "EuropaAgentur Bahn" legt Standards und auch Basis-Standards der Bedienung fest, z.B. Stundentakt zwischen Paris und Köln;

    - die einzelnen Staaten bzw. deren Bahnen haben erste Priorität, diese festgelegten Standards zu erfüllen, z.B. besagten Stundentakt zwischen Paris und Köln;

    - erfüllen die einzelnen Staaten diesen Standard nicht, springt die EuropaBahn ein. Das tut sie auch bei Fahrzeug-, Personalausfällen und sonstigen Störungen. Heißt: Es wird eine deutliche Reserve-Kapazität geschaffen, die zugegebenermaßen kostet, aber den Betrieb deutlicher sichert als bisher.

    - Alle Eisenbahn-Unternehmen, auch private oder die EuropaBahn können eigenwirtschaftlich im Rahmen der Standards und Strecken-Kapazitäten tätig werden:

    - wenn die gesetzten Bedienungsstandards nicht von den Einzelstaats-Bahnen erfüllt werden;

    - mit zusätzlichen Angeboten über die von den Bahn-Agenturen Europas oder der Einzelstaaten hinaus.


    Beispiele:

    Aus irgendeinem Grund schaffen weder Thalys noch DB und SNCF den Stundentakt zwischen Paris und Köln. Dann springt zunächst die EuropaBahn ein, um das Angebot abzudecken. Die SBB und FlixMobility können aber der EuropaBahn günstigere Angebote vorlegen.


    Thalys, ICE und TGV fahren im Stundentakt zwischen Paris und Köln. Über dieses Basis-Angebot hinaus möchte die SNCF noch zwei langlaufende TGV von Bordeaux via Paris und Köln nach Hamburg einschieben, und FlixMobility möchte einen EuroFlix von Brest (Bretagne) nach Brest (Belarus) :) anbieten. Wenn die Kapazität der Strecke das hergibt, dürfen beide hier eigenwirtschaftlich tätig werden.


    Mit diesem Konzept will ich sicherstellen, dass die Basis-Angebote zunächst von bestehenden Staats- oder europäischer Bahn sichergestellt werden, auch auf wirtschaftlich wenig attraktiven Strecken. Erst dann können alle anderen sich engagieren. So soll verhindert werden, dass ein ruinöser Wettbewerb auf den Rennstrecken entsteht, während "die Fläche" verödet. So konnte ich z.B. beobachten, dass die grünen Fernbusse bis 2019 sich zwar fast in den letzten Winkel Deutschlands verbreiteten, mit den pandemie-bedingten Einschränkungen sich aber zunehmend auf den internationalen Verkehr zwischen Metropolen beschränken. Die Linie 26 Berlin - Frankfurt - Trier - Luxemburg mit zusätzlichen Fahrten zwischen Frankfurt und Trier / Luxembourg wird derzeit schon länger nicht befahren - obwohl es in der Relation Frankfurt - Trier - Luxembourg auch keine direkten Züge mehr gibt. Dafür fahren die grünen und auch weitere Busse um so eifriger zwischen Frankfurt und dem Balkan.

  • Deine schönen Ideen hin oder her, Ost-West-Express (und ich finde da viele Aspekte des Grünen Nachtzugkonzeptes drin), du diskutierst an den diesem Thread innewohnenden Fragestellungen vorbei: nicht „wäre mehr Bahn gut“ ist Frage der Konzepte von mofair, Bahn für alle, der Grünen und Liberalen Konzepte oder des Berliner Gutachten, sondern „wie muss Bahn organisiert sein, um ein gutes Konzept zu erreichen“.


    Und das wirft eben Fragen bei dir auf, die grundlegendste: wer gibt demokratische Legitimation und Finanzen an deine „EuropaAgentur Bahn"?


    Dürfen die Staaten ihre Angebote subventionieren? Wenn sie es nicht machen, subventioniert dann automatisch die EU über die EuropaAgentur Bahn? Wie sollen Staaten entscheiden, wen sie damit betrauen, das subventionierte Angebot bereitzustellen? Wie wird sichergestellt, dass die DB nicht Dumpingpreise zwischen Köln und Hamburg festlegt, um die TGV unrentabel zu machen?

  • Ich denke über die von Die genannte Fragestellung hinaus - auf ein europäisches Bahnkonzept. Die jetzige Diskussion erinnert mich eher daran, wenn etwa 1860 Hessen-Nassau oder Württemberg-Hohenzollern die Organisation ihrer Landesbahnen diskutiert hätten, während es schon längst auf ein gemeinsames Deutschland mit einer einzigen staatlichen Eisenbahn hinauslief.


    Ähnlich jetzt. In der Print-Ausgabe der FR am letzten Donnerstag hat Herr Schwämmlein, der Chef von FlixMobility, sehr zutreffend gesagt, dass es darauf ankommt, dass die Eisenbahnen schon allein aus Gründen des Klimaschutzes hohe Marktanteile des Flugverkehrs übernehmen. Dazu natürlich auch des Autoverkehrs. Personen- wie Güterverkehr sollten vermehrt von der Straße auf die Schiene. Und das geht - gerade im Güterverkehr - nur im europäischen Rahmen. Und auch Personenverkehr finden in hohem Maße nicht nur national, sondern inner-europäisch statt.


    Zurück zur Fragestellung: Das heißt, statt über die Verfassung des innerdeutschen Bahnsystems zu diskutieren, wird dieses großenteils auf gesamt-europäische, neu zu schaffende oder weiter zu entwickelnde Institutionen übertragen. Alles, was diskutiert wird, ist in europäischem Rahmen - der mit der Schweiz und Norwegen auch über die EU hinausgeht - festzulegen. Und darauf ist gezielt hinzuarbeiten. Ein verbleibendes Teilnetz und Betrieb der Deutschen Bahn wird dann weiterhin in deutscher Zuständigkeit verbleiben. Und da wird sich durchaus die Frage stellen, ob man das dann nicht gleich den Ländern überlässt - die haben ja bis letztes Jahr auch Verwaltung und Betrieb der Autobahnen geschafft und sind bis heute auch für die Bundesstraßen zuständig. Natürlich kann und soll der Ausbau und Betrieb der Taunusbahn oder der Hamburger S-Bahn möglichst dezentral an Ort und Stelle entschieden und gemanagt werden.


    Die Legimitation, große Teile der Bahnnetze an gesamt-europäische Instititutionen zu übertragen, müssen natürlich die nationalen Parlamente schaffen - bei uns also der Deutsche Bundestag. Aus Gründen der fehlenden demokratischen Legitimation können bislang die ost- und südosteuropäischen Nachbarn der EU nur als assoziierte Mitglieder in den gesamt-europäischen Zug. Und ganz klar wäre dann eine europäische Netzagentur sinnvoller, die vom Betrieb getrennt ist. Das funktioniert ja bei den anderen Verkehrsträgern auch. Autos, LKW, Flugzeuge und Schiffe sind "privat" - auch wenn es staatliche und kommunale Fahrzeuge und Betriebe gibt. Straßen, Flughäfen, Flugsicherung und Wasserwege bleiben aus gutem Grund in öffentlicher Hand. Ausnahmen privater Straßen im Harz oder in den Alpen, über die auch Linienbusse fahren, stören da nicht. Fortsetzung folgt


    Dass die Eisenbahnnetzte von "Europa" - also gepoolt der einzelnen Mitglieder - sowie von den untergeordneten Trägern subventioniert werden, ist schon aus Gründen des Klimaschutzes und der Daseinsvorsorge sinnvoll. Bislang gibt es diese Subventionen vorrangig in indirekter Form für Straße und Luftverkehr - auch in Form der immensen Krankenkassenbeiträge der verkehrsbedingren Luftverschmutzung und Verlärmung.