Ich glaube, hier passt es am Besten rein: Prof. Dr. Christian Böttger von der HTW Berlin hat ein Kurzgutachten im Auftrag des Bundesverbands SchienenNahverkehr über „Marktmodelle zur Organisation des Deutschlandtaktes“ erstellt. Das Papier ist 16 Seiten kurz und wert, durchgelesen zu werden. (In den Zitatausschnitten sind alle Hervorhebungen von mir.)
Der Autor findet Wettbewerb zwar im Prinzip gut, aber singt kein uneingeschränktes Loblied darauf:
Das Marktmodell für den SPNV hat sich bewährt. Die Verkehrsleistung ist absolut um rund 50 % angestiegen, der Marktanteil ist in einem schwierigen intermodalen Wettbewerbsumfeld deutlich gestiegen. Anzumerken ist, dass seit etwa drei Jahren zunehmend Probleme zu beobachten sind. U. a. aufgrund starker Lohnkostensteigerungen sind etliche Betreiber aktuell nicht mehr in der Lage, profitabel zu arbeiten; einige Akteure prüfen derzeit den Marktausstieg.
In vielen Punkten lässt sich die Entwicklung im SPNV als Lehrbuchbeispiel für ökonomische Mechanismen verstehen. Der Wettbewerb hat innovative Ideen in den Markt gebracht. Bei attraktiven Vergabeverfahren mit vielen Bietern sanken die Preise. Bei Verfahren mit nur einem Bieter liegen die Preise teilweise deutlich höher.
Für den Deutschlandtakt sieht er rechtliche Probleme und wundert sich über das BMVI:
Kommunikativ betreibt das BMVI einen Spagat. Einerseits werden die in Aussicht stehenden Angebotsverbesserungen aus dem Deutschlandtakt als politische Leistung des Ministeriums und des Ministers dargestellt, andererseits wird in den Textveröffentlichungen deutlich formuliert, dass der Deutschlandtakt „kein rechtlich verbindliches Bedienangebot“ darstelle und dass die EVU für die Umsetzung verantwortlich seien.
Insgesamt wird allerdings in den Unterlagen zum Deutschlandtakt deutlich, dass sich derzeit auch das BMVI nicht sicher ist, ob der Deutschlandtakt mit der heutigen Rechtslage kompatibel ist. Die Vorfestlegung der Trassennutzung bereits in der Bauphase könnte im Widerspruch stehen zu den bestehenden europäischen und deutschen Regeln zur Trassenvergabe.
Er stellt dann verschiedene Marktmodelle vor und kommentiert sie:
- Nullfall: kein Marktmodell, wie das BMVI behauptet, dass es möglich wäre. (Er ist skeptisch)
- Minimalmodell: Abwarten und Tee trinken. „Der Ansatz ist eher reaktiv und nicht dazu geeignet, eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene zu fördern.“ Mögliche Ausgestaltungen:
- Trassenvergaberecht anpassen
- Bundesfinanzierung bestimmter Angebote befristet zulassen
- Ganz lieb bitte bitte sagen, damit die DB Fernverkehr vielleicht doch eigenes Geld verbrennt, um Chemnitz anzubinden
- Noch mehr Murks mit Fernverkehr-Nahverkehr-Kopplung
- Marktmodelle mit wettbewerblicher Vergabe: Hier führt er EU-Recht an: „Grundsätzlich besteht EU-weit eine Ausschreibungspflicht für subventionierte Verkehrsleistungen. [… Es] sprechen gewichtige Gründe dafür, das
heutige Marktmodell anzupassen.“
- Netzkonzession: Alles an einen Anbieter
- Netzkonzession mit Vergaben im Ergänzungsnetz
- „Vergabe von Linienbündeln“ (Fahrzeuge und Betrieb integriert)
- „Vergabe von Linienbündeln mit separater Vergabe Fahrzeugbereitstellung“
Ein übergreifender, anbieterunabhängiger Vertrieb wird als zentral wichtig herausgestellt:
Unabhängig von dem gewählten Marktmodell stellt sich bei der Vergabe von Fernverkehrsleistungen die Frage nach der Gestaltung der Vertriebsfunktionen.[…] Die staatliche Stelle, die die Ausschreibung organisiert, sollte hinsichtlich des Vertriebes bestimmte Vorgaben machen. Hierzu gehören insbesondere
- Beteiligung des Betreibers an einem nationalen Buchungssystem, das durchgängige Buchungen ermöglicht
- Das Grundkonstrukt eines nationalen Ticketsystems sollte – analog zu den Regelungen im SPNV
– auf einem Grundpreis beruhen, mit dem der Fahrgast jeden beliebigen Zug nutzen kann. Basierend darauf sollte jeder Betreiber die Möglichkeit haben, günstigere Preise mit Zugbindung anzubieten.- Anerkennung von BahnCards etc.
- Ein Mindestangebot an günstigen Tickets
- Ggfs. Vorgabe neuer Ticketformen durch den Staat, z.B. bundesweite Pauschaltickets
Aus diesen Vorgaben ergeben sich weitgehende Gestaltungsoptionen für die Betreiber. Zugleich müssen bestimmte Schnittstellen geplant werden.
[…]
In der heutigen Marktordnung ist der DB Navigator Eigentum eines der Akteure. Die zuvor skizzierten wettbewerblichen Marktmodelle würden es erforderlich machen, dass alle Betreiber ihre Angebote über eine einzige Plattform vermarkten können. Deshalb muss der Navigator – oder ein Nachfolgesystem – zwingend marktneutral aufgestellt werde
Desweiteren stellt das Gutachten Überlegungen an, welche Stelle denn den SPFV bestellen könnte und wie diese Stelle organisiert sein könnte.
Wie gesagt, Volltextlesen lohnt sich.