Güterzugunglück in Dieburg

  • Die Strecke Darmstadt - Aschaffenburg ist normalerweise sehr wichtig für den Schienengüterverkehr. Die Umleiter fahren Richtung Frankfurt hoch und dann von dort Richtung Hanau. Die Strecke ist natürlich extrem stark ausgelastet und auch zusätzlich nicht für alle Verkehre freigegeben. Die Relation Mannheim -> Norden ist somit betroffen, es gibt jetzt nur noch die Alternativen über das Rheintal (stark ausgelastet) oder über Eberbach - Osterburken - Würzburg - Gemünden - Flieden in den Norden, wenn man den Knoten Frankfurt vermeiden will/muss. Was das in Schichtzeiten und Zusatzkilometern ausmacht, kann man sich ja kurz überschlagen. Die sonst recht wichtige Fahrtstrecke Mannheim -> Darmstadt -> Aschaffenburg -> Hanau/Würzburg fehlt jetzt recht schmerzlich.

  • strecken.info ist sich noch nicht so sicher:

    Aktualisierung Prognose: Das in der BZ-Info dargestellte Ende ist im Sinne einer Grobprognose zu verstehen. Die Wiederherstellung der Fahrwegverfügbarkeit ist für MITTE JUNI angekündigt.

    Sobald sich Prognosen erhärten kommunizieren wir zeitnah:

    Hinweis: Derzeit werden noch Optionen zur eingleisigen Wiederherstellung geprüft. Hierzu kann jedoch noch keine Aussage getroffen werden. Zunächst ist mit einer TSP bis MITTE JUNI auszugehen.

  • Der Text ist noch alt. In der Dauer der von dir Zitierten Meldung wurde das Ende von 16.6. 23:59 Uhr auf 16.6. 5:00 Uhr aktualisiert. Zudem wird in diesem Zeitungsbericht davon gesprochen, dass eine Bahnsprecherin dies so gesagt hat.

    Leider gibt es keine anderen mir bekannten Quellen.

    Einmal editiert, zuletzt von Mikal ()

  • Der Text ist noch alt. In der Dauer der von dir Zitierten Meldung wurde das Ende von 16.6. 23:59 Uhr auf 16.6. 5:00 Uhr aktualisiert. Zudem wird in diesem Zeitungsbericht davon gesprochen, dass eine Bahnsprecherin dies so gesagt hat.

    Ah, dann danke für die nachgereichten Quellen :thumbup::)

  • Seit heute morgen 6:30 ist die Strecke wieder frei und hat sich gleich als Umleitungsstrecke bewährt.

    In Hanau ist wohl jemand auf einen Güterwagen geklettert und hat einen Stromschlag bekommen.

  • Im Untersuchungsbericht zur Kollision in Meerbusch wird auf der letzten Seite erwähnt, dass beim Unfall in Dieburg ähnlich zu diesem auch die Zugnummermeldeanlage eine Rolle gespielt hat: https://www.eisenbahn-unfallun…-_Meerbusch-Osterath.html


    Ganz kurz (aber hoffentlich trotzdem richtig) zusammengefasst, was dort passiert ist: Eine schon vorhandene Zugnummer wurde nochmals für einen anderen Zug eingegeben, wodurch sie beim ersten Zug verschwand, das Gleis also ohne Zugnummer als besetzt angezeigt wurde, was die Fahrdienstleiterin als Störung interpretierte und dem folgenden Zug Zs1 gab.


    Zitat

    Am 19.05.2022 kam es zwischen dem Haltepunkt Altheim (Hess) und dem Bahnhof Dieburg

    zu einer Zugkollision von zwei Güterzügen. Auch bei diesem Ereignis war die Bedienung und

    der Umgang mit der ZN ein zum EreigniseintriƩ beitragender Faktor. Weitergehende Untersu‐

    chungen durch die BEU werden im Rahmen der letztgenannten Ereignisuntersuchung durch‐

    geführt.

    Einmal editiert, zuletzt von Jonaes02 ()

  • Danke für Deine Zusammenfassung.


    Wie weit (also Blöcke) reicht so eine Zugnummerneingabe?


    Könnte mir vorstellen, dass der Block, zu dem Zs1 gestellt wurde theoretisch vom vorherigen Zug noch geräumt wird, bevor der nachfolgende Zug auffährt und spätestens vor dem nächsten Block der Folgezug durch ein rotes Signal wieder abgebremst wird.


    Im Fall Dieburg stand der erste Zug wohl im Block oder hat sich nur sehr langsam bewegt. Ist ja ungewöhnlich, dass zwei gleichartige langsame Zugtypen ohne Bahnhofshalt überhaupt einander auffahren (wenn nicht der erste irgendwo mal wieder "warten" muss).

    Vollkommen Großartiges Forum

  • Wie weit (also Blöcke) reicht so eine Zugnummerneingabe?

    Du erlaubst, dass ich mir folgende Randbemerkung gestatte: Deine Frage ist vergleichse naiv/laienhaft gestellt und ich bin mir daher nicht sicher, ob Du überhaupt ein grundsätzliches Verständnis für die Funktionsweise einer ZN (sowohl als System als auch im Zusammenspiel mit der Stellwerkstechnik) hast. Mir ist daher nicht klar, was Du mit der Frage bezweckst, bzw. was Du Dir von der Antwort an Informationen erhoffst.


    Kurzfassung der Antwort: Auf Strecken mit ZN existiert ein Feld pro Zugfolgeabschnitt.

  • Ich bin so frei und interpretiere die Frage mal: wenn eine Zugnummer in die ZN eingegeben wird, für wie viele Zugfolgeabschnitte bleibt die dann erhalten, also wie lange wird sie von Zugfolgeabschnitt zu Zugfolgeabschnitt automatisch weitergereicht?

    Hinweis: Sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, spiegeln meine Beiträge nur meine persönliche Meinung. Diese muß nicht zwangsläufig der meines Arbeitgebers, irgendwelcher Institutionen oder von sonstwem entsprechen, sie muß auch nicht unbedingt jedem gefallen, ich lasse sie mir aber auch nicht verbieten oder madig machen und werde mich im Normalfall auch nicht dafür, daß ich eben eine eigene Sicht der Dinge habe, entschuldigen.

  • Ja, Tatrafan hat meine Frage gut wiedergegeben. :thumbup:

    Dann ist die Frage trotzdem naiv bzw. im Zusammenhang mit diesem Thema sehr naiv. Wenn es um die Ursachenforschung von gefährlichen Ereignissen geht, bei denen es teilweise um sehr detaillierte Spezialfunktionen geht (ich drücke das mal so allgemein aus), ist es wichtig, die Grundfunktion eines Systems zu kennen. Andernfalls wird es schwierig, eine fachlich fundierte Diskussion über die Feinheiten zu führen.


    Versteh mich bitte nicht falsch, ich will Dir nicht das Recht absprechen, Dich darüber zu informieren, wie eine ZN überhaupt funktioniert. Nur sehe ich das hier, wo bereits ein vertieftes Verständnis der Funktionsweise - und auch ein Wissen darüber, wann solche Systeme verwendet werden dürfen und wann nicht - erforderlich ist, etwas fehl am Platz. Und es besteht die Gefahr, dass dann recht schnell "Hätte man da nicht einfach..."-Thesen aufkommen, die anschließend zu einem vermeintlichen Urteil über ein Ereignis führen, aber absolut nicht zutreffen.


    Unabhängig davon beantwortet der Unfallbericht relativ rudimentär, aber kompakt und zutreffend die Frage nach der Funktionsweise. Ich möchte Deine Frage daher nicht unbeantwortet lassen: "Eine automatische Zugnummernfortschaltung erfolgt nach Haltfall eines Signals in das nächstfolgende Zugnummernfeld." Und das gilt, soweit das System vorhanden ist. Also grundsätzlich von Flensburg bis Oberammergau, wenn alle Stellwerke entlang des Laufwegs mit ZN ausgestattet sind.


    Das gilt u. a. auch für die Frage nach Zs 1. Ich bin mir ob der Formulierung der Frage nicht sicher, ob Dir überhaupt klar ist, wie bei Eisenbahnen (quasi weltweit) die Zugfolge geregelt wird, wie Streckenblock in seinen unterschiedlichen Ausprägungen funktioniert, welche Bedingungen für die (selbsttätige/manuelle) Grundstellung erforderlich sind und unter welchen Gegegebenheiten und mit welchen Ersatzmaßnahmen das System ausgehebelt werden kann und darf.


    Das wäre in etwa analog zu einem fiktiven Unfall in Hinterposemuckel, wo anschließend darüber diskutiert wird, ob das Absenken der HLL auf 3,8 statt 3,7 bar für 10 Sekunden fünfundzwanzig Kilometer vorher den Unfall begünstigt hätte und dann die Frage kommt, ob die Druckluftbremse überhaupt in ganz Deutschland benutzt werden darf.

  • Die Ursachenforschung ist abgeschlossen, der Bericht der BEU veröffentlicht. Ich zitiere:

    1.1 Kurzbeschreibung des Ereignisses

    Am 19.05.2022 wurde um 02:52 Uhr die Zugnummer (ZN) des sich zwischen Babenhausen und Dieburg befindlichen DGS 46192 nach einer Fahrstraßenrücknahme automatisch mit der ZN des nachfolgenden DGS 42174 überschrieben. In der Folge fuhr der DGS 46192 zunächst ohne ZN, im weiteren Verlauf dann mit der falschen ZN des DGS 42174 weiter in Richtung Darmstadt. Der DGS 42174 verblieb unerkannt auf der Strecke und kam zwischen dem Haltepunkt (Hp) Altheim (Hess) und dem Bahnhof (Bf) Dieburg zum Halten. Der Fahrdienstleiter (Fdl) Dieburg stellte schließlich die Grundstellung für den noch durch DGS 42174 unerkannt belegten Blockabschnitt her. In der Folge befuhr der nachfolgende GAG 60101 den Blockabschnitt auf Signalstellung und kollidierte gegen 04:04 Uhr mit dem stehenden DGS 42174.

    Ich muss sagen, dass mein Verständnis der Materie nicht ausreicht, um den Hergang und die zugrundeliegenden Fehler durch kurzen Blick auf den Bericht zu verstehen. Ich hoffe auf die Einschätzungen kundigerer Menschen.

  • Interessant dabei ist, dass in der Summe 3 Züge beteiligt waren. Der 1. Zug war der 46192, der 2. Zug der 42174 (der Zug, auf den aufgefahren wurde), der 3. Zug der 60101 (der Zug, der auffuhr).

    Stark zusammengefasst war die Hauptursache eine Verwechslung. Stark vereinfacht gesagt hat die Technik aus dem 1. Zug plötzlich den 2. gemacht und ihn so angezeigt. Die Fahrdienstleiter haben das dann verwechselt und den 1. Zug (den 46192) für den 2. (den 42714) gehalten. Daher haben sie ihn an einem völlig anderen Standort vermutet (vor DA-Kranichstein), als er tatsächlich stand. Die Besetzt-Anzeige zwischen Altheim und Dieburg haben sie für eine Störung gehalten.

    Tatsächlich war der Zug vor DA-Kranichstein nicht der 42174, sondern der 46192 (von dem man wohl dachte, dass er schon längst über alle Berge wäre). Die "Besetzt-Störung" zwischen Altheim und Dieburg war der dort stehende tatsächliche 42174. Wegen dieses Irrglaubens wurde die Störung quasi zurückgesetzt und so konnte sich das Signal hinter dem (richtigen) 42174 auf Fahrt stellen. Somit konnte der 60101 in diesen vermeintlich freien (aber tatsächlich besetzten) Blockabschnitt einfahren und stieß dann mit dem 42174 zusammen.

    Dem Bericht nach war wohl auch ein Fehlverhalten der Fahrdienstleiter in Babenhausen und Dieburg beitragend zum Unglück. Maßgebend war wohl vor allem, dass man sich in der Kommunikation mit den Lokführern nicht einigen konnte, welcher Zug denn nun tatsächlich wo steht.

    Viele Grüße, vöv2000

  • Stark vereinfacht gesagt hat die Technik aus dem 1. Zug plötzlich den 2. gemacht und ihn so angezeigt.

    Nach genauerem Hinsehen reibe ich mir immer noch die Augen. Verstehe ich das richtig, dass der technische Fehler in der Schnittstelle zwischen ESTW und Drucktastenstellwerk passiert ist?

    Betrieblich nicht plausible Funktionalitäten der ZNL800 in Babenhausen in Verbindung mit Arbeitsfehlern des Fdl Babenhausen bewirkten, dass ein Zug ohne eine in der ZN‐Anlage hinterlegte ZN auf der Strecke zwischen Babenhausen und Dieburg unterwegs war. Die in der ZN‐Anlage angezeigten Daten spiegelten nicht das reale Betriebsgeschehen wieder und begünstigten, dass der Fdl Dieburg darauf beruhend falsche Entscheidungen traf. Trotz weiterer Indizien für eine Zugfahrt bewertete der Fdl Dieburg die technische Besetztanzeige des Blockabschnitts 34 fehlerhaft als eine Achszählstörung. Weitere Fehler in der Anwendung des Regelwerks in Verbindung mit einem ausschließlichen Vertrauen in die Richtigkeit der

    signaltechnisch nicht sicheren Anzeige der ZN‐Anlage führten zu einer Fehleinschätzung der realen betrieblichen Situation durch den Fdl Dieburg. In deren Folge stellte er unzulässig die Grundstellung für den Blockabschnitt 34 her, was letztlich die Kollision der Züge ermöglichte. Dem gesamten Arbeitssystem für die Verarbeitung und Übermittlung von Zugmeldungen kommt eine unmittelbare Sicherheitsrelevanz zu. Die stets genügende Sicherheitsleistung dieses Systems muss auch beim Übergang vom Regelbetrieb in den Störungsbetrieb gewährleistet sein. Dies betrifft insbesondere die Routinen zur Übernahme oder Korrektur von Informationen, welche zuvor noch automatisiert verarbeitet, übertragen oder archiviert wurden, und die anschließend – insbesondere bei aufkommenden oder angenommenen Störungen – eine neue Eingangsgröße für anschließende Handlungsentscheidungen der Betriebspersonale sind.

    Und eigentlich noch unglaublicher finde ich diesen Abschnitt:

    Am 18.02.2015 ereignete sich zwischen den Bf Jossa und Burgsinn eine Beinahekollision. Nach einer Fortschaltstörung in der ZN‐Anlage verloren die beteiligten Fdl den Überblick über die Zugfolge, was dazu führte, dass sich ein Güterzug unerkannt in einem Blockabschnitt befand. Der Tf der nachfolgenden mit Ersatzsignal zugelassenen Zugfahrt erkannte den stehenden Zug rechtzeitig und kam kurz vor dem Zugschluss zum Halten.


    Am 05.12.2017 kollidierte ein Reisezug zwischen der Abzweigstelle Weißenberg und dem Bf Meerbusch‐Osterath mit einem Güterzug. Bedienfehler an der ZN‐Anlage führten zum Verlust des Überblicks über die Betriebssituation, so dass sich ein Güterzug unerkannt in einem Blockabschnitt befand. Trotz Widerspruchs zwischen Tf und Fdl zum Standort des Güterzuges wurde eine nachfolgende Zugfahrt in den belegten Abschnitt zugelassen und kollidierte mit dem Güterzug.

    Hätte es kein Todesopfer gegeben, wäre das wahrscheinlich eine sehr gute Gelegenheit für Alwin Meschede, ein ErklärvideoTrinkspiel zu diesem Bericht zu machen, aber bei menschlichen Opfern sieht er normalerweise davon ab, das zu tun.

  • Verstehe ich das richtig, dass der technische Fehler in der Schnittstelle zwischen ESTW und Drucktastenstellwerk passiert ist?

    Nein, die Zugnummernmeldanlage ist nicht direkt Teil der Stellwerke, zwar kann sie in den Stelltischen angezeigt sein, und im ESTW immer auf den Meldebildern dargestellt sein, allerdings ist sie kein Teil der sicherungstechnik. Diese hat ordnungsgemäß funktioniert. Es wird Fahrdienstleitern eigentlich in der Ausbildung und bei den regelmäßigen Auffrischungstrainings immer wieder eingebläut, dass Fehler in der ZN mit größter Vorischt zu behandeln sind, erst recht seit dem Unfall in Meerbusch. Warum dann manche das dann immer noch nicht verinnerlicht haben, bleibt mir ein Rätsel.

    Alle Räder stehen still, weil der Fdl das so will.

  • Nein, die Zugnummernmeldanlage ist nicht direkt Teil der Stellwerke, zwar kann sie in den Stelltischen angezeigt sein, und im ESTW immer auf den Meldebildern dargestellt sein, allerdings ist sie kein Teil der sicherungstechnik.

    Vielleicht war meine Frage unvorsichtig formuliert, korrekter wäre wohl: ist der technische Fehler zwischen zwei ZN, von denen eine zu einem ESTW und eine zu einem Drucktastenstellwerk gehört, passiert?

    Die ZN ist kein Zeil der Sicherungstechnik, soviel habe ich auch verstanden. Aber jedes Stellwerk hat mindestens eine eigene ZN, oder? Und wenn hier zwei Stellwerke beteiligt waren, dann auch (mindestens) zwei ZN. Und die Schnittstelle zwischen diesen: war die ursächlich?

  • Vielleicht war meine Frage unvorsichtig formuliert, korrekter wäre wohl: ist der technische Fehler zwischen zwei ZN, von denen eine zu einem ESTW und eine zu einem Drucktastenstellwerk gehört, passiert?

    Die Antwort darauf ist ein eindeutiges Nein. Und ebenso ein eindeutiges Nein zu Schnittstellenfragen. Es hat auch keinen technischen Fehler gegeben. Die ZN hat genau das getan, was sie tun soll. Nämlich eine Zugnummer in das Folgefeld schreiben, wenn das zugehörige Signal auf Halt gestellt wird. Die Ursache liegt einzig darin, dass für die ZN "von außen" das Signal als "grün" gemeldet wird, wenn die zugehörige Ausfahrstraße eingelaufen war (aber in diesem Fall noch ohne Fahrtstellung des echten Signals).