Deutschlandticket [war: Nachfolge für das 9 €-Ticket]

  • Zwei Studien zum Deutschlandticket wurden in den letzten Tagen vorgestellt.


    Zum einen positionieren sich die Verkehrsverbünde mit einem Gutachten für die Zukunft des Deutschlandticket nach 2026 mit Hauptaugenmerk auf die EAV (Tenor: soll Aufgabe der Verbünde bleiben, das Wohnortprinzip bleibt bei, ein Balancepool soll zwischen den Länder etwaige Zahlungsansprüche ausgleichen, wenn z.B. Nutzende Länder und Verbundsgrenzen missachten pendeln) aber auch Szenarien für zukünftige Preisänderungen (Tenor sollte: schon deutlich teurer werden aber nicht teurer als die teuersten Monatskarten in Großstädten wie Frankfurt).


    Aufhorchen hatte mich folgende Behauptung, die schon länger eher schwach fundiert aus dem VDV Umfeld auf Basis der Argumentation, dass ja nur wenige Prozent absolute Neueinsteiger in das System ÖPNV durch das Deutschlandticket angeworben hätten (hierbei wurde aber auch jede:r, die einmal im Monat mal einen Einzelfahrschein gekauft hat nicht als Neukunde gewertet).

    Zitat

    Erwartungen, dass das Ticket einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten würde, haben sich in den Augen von Kritikern nicht ausreichend erfüllt. Die erhofften Einsparungen an CO2-Emissionen sind ausgeblieben.


    Deutlich (und tatsächlich mit evidenzbasierter Methodik) widerspricht dem das Ariadne-Projekt: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nahm nicht nur der MIV-Verkehr über lange Pendelstrecken ab in Deutschland, sondern der SPNV-Verkehr über 30 Kilometer sehr deutlich zu. Dies führte zu Einsparung von 6,7 Millionen Tonnen.

    Einmal editiert, zuletzt von Araali ()

  • Die vollständigen Ariadne-Ergebnisse kann man auch direkt beim Urheber studieren:.

    https://mcc-berlin-ariadne.shinyapps.io/dticket-tracker/


    • Anzahl der Zugfahrten deutlich zugenommen (um 30,4% bei Fahrten mit mehr als 30 km), Nutzung des Autos hat spürbar abgenommen (7,6% weniger gefahrene Autokilometer), doch die Gesamtmobilität ist relativ stabil geblieben.

    • Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene („Modal Split“) ist von etwa 10 auf 12% gestiegen.

    • CO2-Emissionsreduktion: Jährliche Emissionen Pkw-Verkehr um etwa 6,7 Millionen Tonnen gesunken, was einer Reduktion von rund 4,7% der gesamten Verkehrsemissionen entspricht.

    • Als Folge der beschlossenen Preiserhöhung wird prognostiziert, dass Fahrten im Zugverkehr um etwa 14% zurückgehen und die gefahrenen Kilometer im Autoverkehr um etwa 3,5% zunehmen. Dies würde zu einer Halbierung der bislang durch das D-Ticket erzielten Emissionseinsparung führen.

    Unter Bulletpoint 1 findet sich also eine Widerlegung der - auch hier- so gerne verbreiteten Mär von den Zusatzspaßfahrten ohne Substitutionswirkung die die wesentliche Quelle für Mehrnutzung des ÖPV seien.

    Mit anderen Worten: Das Deutschlandticket funktioniert und leistet den erhofften Beitrag zur CO2-Reduktion im Mobilitätssektor.


    Und am Ende ein klarer Hinweis darauf, dass der Preis ein politischer sein muss und jede Rede von "Notwendigen oder unvermeidlichen Preisanpassungen" komplett irreleitend ist.

    • Klar ist, die Finanzierung muss durch Bundes-/Landesmittel geleistet werden und kann natürlich nicht auf dem Rücken der Verbünde/VUs abgeladen werden (sage ich).

    Dafür bräuchte es jetzt den entsprechenden politischen Druck. Genauer: Gegendruck. Denn die -öffentlich unerklärten- Feinde dieser Maßnahme für eine Verkehrswende sind sehr aktiv, durchschlagskräftig und haben mit der kommenden Preiserhöhung ihr erstes Zwischenziel bereits erreicht.


    Eigentlich müsste der nächste Schritt jetzt sein, das DTicket komplett kostenlos zu machen, gar nicht auszudenken, welche massive Umstiegswellen weg vom PKW und damit CO2-Reduktionen das auslösen würde.

    • Möglicherweise sogar derart drastisch, dass Deutschland die Sektorenziele hier nicht mehr dramatisch verfehlt, zu denen es sich verpflichtet hat?

    Klar, die Neiddebatte der 90+k€-2,8T-SUV-Fahrer und ihrer Leitmedien würde infernalisch ausfallen, aber: Wenn man wirklich was erreichen will, müsste man das halt schon aushalten, und Kurs halten.

    Dann bliebe vielleicht sogar mal genug Platz für eigene Trassen und Vorrangschaltungen für die Strassenbahn in Frankfurt.

    2 Mal editiert, zuletzt von Schienenhund ()

  • Dann bliebe vielleicht sogar mal genug Platz für eigene Trassen und Vorrangschaltungen für die Strassenbahn in Frankfurt.

    Das ist eine Polemik, die in die Irre führt, denn der Platz war in den vergangenen zwei Jahrzehnten nie der Hinderungsgrund in Ffm. Es war politischer (Un-) Wille, gewürzt mit dem Pauschalverweis auf fehlendes Geld. Beides wird sich nicht bessern, sondern eher verschlechtern, wenn nur umso mehr Steuermilliarden aus dem ÖV-Topf in die Fahrscheinsubventionierung abgezweigt werden. Nötig ist daher ein ernsthaftes Bekenntnis (und Taten) der Politik für Ausbau UND Tarifsubventionen. Jede Diskussion über SUV & Co. lenkt bloß von dieser viel größeren Relevanz ab und schwächt damit den ÖV.

  • Eigentlich müsste der nächste Schritt jetzt sein, das DTicket komplett kostenlos zu machen, gar nicht auszudenken, welche massive Umstiegswellen weg vom PKW und damit CO2-Reduktionen das auslösen würde.

    Richtig, nicht auszudenken. Aber im negativen Sinne: man würde die plötzlichen Fahrgastmassen schlicht nicht mehr weg bekommen!


    Siehe "meine" Strecke, RE 6 Leipzig - Chemnitz, schon als das Ticket "noch" 9 € kostete, war es unmöglich, alle Mitfahrwilligen zu befördern, es blieben praktisch täglich Leute am Bahnsteig zurück. Was tun? Zug verlängern? Geht nicht, die Bahnsteige unterwegs sind zu kurz. Öfter fahren? Geht nicht, die eingleisige Strecke (Ausbau bzw. Wiederaufbau seit inzwischen knapp 80 Jahren immer wieder vernachlässigt) gibt nicht mehr Fahrten her. Statt der jetzigen Halberstädter Wagen 5 Dostos? Zum einen schafft die Lok das nicht (jedenfalls nicht innerhalb der gegebenen und durch die Eingleisigkeit erforderlichen Fahrzeiten), zum anderen sind schlicht keine Fahrzeuge verfügbar. Also, wohin mit den "massiven Umstiegswellen"?


    Oder auch der RE 50 Leipzig - Dresden. Längere Züge? Bei den aus 442 / 1442 gebildeten Zügen scheitert auch das direkt wieder an zu kurzen Bahnsteigen unterwegs. Nur noch Dosto mit längeren Zügen? Auch hier: keine Fahrzeuge verfügbar. Öfter fahren? Ebenfalls: keine Fahrzeuge und nicht mal ansatzweise genug Personal. Außerdem: "unendlich" lange Blockabstände auf der Strecke, da passen, da ja nach wie vor auch noch Fernverkehr und Güterverkehr fahren, gar keine weiteren Züge drauf, jedenfalls keine, die mit halbwegs planbaren Fahrzeiten fahren würden. - Folge all dessen: auch da könnten die zusätzlichen Massen an Fahrgästen schlicht nicht befördert werden.


    Das System Eisenbahn eiert in Deutschland vielerorten schon jetzt an der obersten Kapazitätsgrenze herum. Ohne eine Vorlaufzeit von Jahren oder gar Jahrzehnten (oder, wenn ich mir die inzwischen normalen Planungs- und Realisierungszeiträume in Deutschland für Eisenbahnprojekte aller Art so anschaue, wohl eher einem Jahrhundert), um Infrastrukturreserven, Fahrzeugflotten und Personalbestand (wir nehmen mal an, es gäbe keinen Fachkräftemangel) aufzubauen, wäre ein Gratisticket für alle eine absolute Kamikazeaktion und würde wohl gerade an den großen Bahnhöfen zu Mord und Totschlag darum führen, wer nun noch in den Zug reingequetscht werden darf und wer draußen bleiben muß.

    Hinweis: Sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, spiegeln meine Beiträge nur meine persönliche Meinung. Diese muß nicht zwangsläufig der meines Arbeitgebers, irgendwelcher Institutionen oder von sonstwem entsprechen, sie muß auch nicht unbedingt jedem gefallen, ich lasse sie mir aber auch nicht verbieten oder madig machen und werde mich im Normalfall auch nicht dafür, daß ich eben eine eigene Sicht der Dinge habe, entschuldigen.

  • solange die Lösung auf Staus „mehr Straßen“ ist, halte ich die Lösung „nur Reiche sollten sich eine Mitfahrt leisten können“ als Antwort auf „Züge überlastet“ nicht für akzeptabel.


    Und auch wenn das vielleicht die Bedeutung des Wortes „reich“ sehr dehnt, läuft es darauf hinaus, dass man einen Fahrpreis braucht, um Menschen von der Beneutzung des ÖPNV auszuschließen, wenn man Tatrafan ‘s Argumentation folgt.

  • Ich sehe da nur eine Nicht-Befürwortung von kostenlosen ÖPNV und kein Reiche (das Wort kommt bei Tatrafan

    gar nicht vor) dürfen nur sich das leisten können.


    Anm: Beim Bürgergeld wird als Betrag für Verkehr 50,49 Euro aktuell angesetzt Quelle

    Die kommende Preissteigerung wird das übersteigen (und ich rechne nicht damit dass

    der Satz an den neuen Betrag vom D-Ticketzum Januar angepasst wird)

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  • Zum Glück hatte ich ja schon explizit genau das geschrieben, was ich auch hierauf antworte, aber gerne nochmal in anderen Worten: der Fahrpreis wird in seinem Argument gebraucht, um Menschen davon abzuhalten, den ÖPNV zu nutzen. Nicht zur Finanzierung, nicht zur "Wertschätzung" – beides Argumente, die auch immer wieder kommen – sondern um dafür zu sorgen, dass weniger Menschen mit der Bahn reisen. Menschen mit wenig real verfügbarem Geld wird das treffen, für Menschen mit viel verfügbarem Geld eher nicht.

    Ich sehe da nur eine Nicht-Befürwortung von kostenlosen ÖPNV und kein Reiche (das Wort kommt bei Tatrafan

    gar nicht vor) dürfen nur sich das leisten können.

    Zum Glück hatte ich ja schon explizit genau das geschrieben, was ich auch hierauf antworte, aber gerne nochmal in anderen Worten: der Fahrpreis wird in seinem Argument gebraucht, um Menschen davon abzuhalten, den ÖPNV zu nutzen. Nicht zur Finanzierung, nicht zur "Wertschätzung" – beides Argumente, die auch immer wieder kommen – sondern um dafür zu sorgen, dass weniger Menschen mit der Bahn reisen. Menschen mit wenig real verfügbarem Geld wird das treffen, Menschen mit viel verfügbarem Geld eher nicht.


    Aber auch davon abgesehen:


    Mit dem Argument kann man Parkraum nicht stärker bewirtschaften: dann führen mehr Menschen mit der Bahn und es gibt Mord und Totschlag an den Bahnhöfen.


    Mit dem Argument kann man Benzin nicht teurer machen: dann führen mehr Menschen mit der Bahn und es gibt Mord und Totschlag an den Bahnhöfen.


    Mit dem Argument kann man keine City-Maut einführen: dann führen mehr Menschen mit der Bahn und es gibt Mord und Totschlag an den Bahnhöfen.


    Mit dem Argument muss man mehr Straßen bauen: sonst fahren zu viele Menschen mit der Bahn und es gibt Mord und Totschlag an den Bahnhöfen.

    Einmal editiert, zuletzt von baeuchle ()

  • Solange ihr auf verschiedenen Ebenen diskutiert, werdet ihr euch wohl kaum näherkommen können, oder? Natürlich kann (und muss) man mit dem idealen, hehren Ziel argumentieren so wie baeuchle - allerdings hat Tatrafan völlig pragmatisch daran erinnert, dass das eben nicht von jetzt auf sofort umsetzbar ist, selbst wenn man wollte, oder eben nur zum Preis völliger Überlastung. Daher wird der Fahrpreis selbstverständlich (noch) für die Mengenregulierung benötigt. Beschwerden über den fehlenden Ausbau der ÖV-Infrastruktur bitte an die regierenden Politiker in Deutschland von den 1960er- bis in die 2010er-Jahre richten. Über den unzureichenden Ist-Zustand zu lamentieren und sofortigen kostenlosen ÖV für alle einzufordern klingt halt toll, aber es bringt uns keinen Millimeter weiter, solange die Politik weiterhin so den Ausbau blockiert, der erst die Voraussetzung fürs Befördern von mehr Fahrgästen schafft.


    Außerdem sollten wir bedenken, dass es hier um zwei generell unterschiedliche Ziele geht: Zum einen geht es um Steuergeld für Infrastruktur (Ausbau des Schienennetzes), zum anderen geht es um Steuergeld für Sozialpolitik (Mobilität umsonst für jeden). Letzteres ist eben klar eine Sozialausgabe, sie gehört meiner Meinung nach daher auch korrekt aus dem Sozial- und nicht aus dem Verkehrsetat finanziert. Das erscheint mir allein deshalb notwendig, um klarzumachen, dass der ÖV eben einen Preis und Wert hat. Aber das mag man politisch unterschiedlich bewerten.


    Selbstverständlich gehört es sich auch, dass die Allgemeinheit der Steuerzahler solidarisch den armen Menschen bei der Mobilität unter die Arme greift. Und das geschieht ja auch bereits, zum Beispiel indem für Betroffene der D-Ticket-Preis wie in Frankfurt auf 24.50€ abgesenkt ist (mit Frankfurt-Pass) oder in Berlin die Monatskarte auf 9€. Zur Solidarität gehört aber eben auch, dass diejenigen, die sich höhere Preise leisten können, auch mehr zahlen – sei es über höhere Ticketpreise (z.B. nicht rabattiertes D-Ticket) oder eben höhere Steuern.

  • Daher wird der Fahrpreis selbstverständlich (noch) für die Mengenregulierung benötigt.

    Nein, genau das eben nicht. Damit kann man sich die nächsten Jahre noch damit herausreden, "irgendwann" den ÖPNV verbessern zu können, weil ja aktuell gar nicht der Bedarf dafür vorhanden ist. Wir brauchen "jetzt" ein Druckmittel dafür, den ÖPNV zu verbessern und das geht wohl (leider) nur darüber, dass er aktuell überlastet wird. Nur damit wird dann auch genügend Druck auf die Entscheidungsträger herbeigeführt, "sofort" für Verbesserungen zu sorgen, oder sie zumindest unverzüglich anzukurbeln. Andernfalls hängen wir wieder in der Bayern-Spirale ("die Leute hier können keinen ÖPNV nutzen, weil sonntags kein Bus fährt" [den hätten wir zwar schon vor 10 Jahren bestellen können, aber da halten wir mal besser die Klappe]) fest.

  • (Die Frage, ob es andere Argumente für einen Fahrpreis > 0 gibt oder nicht, welche Argumente es dafür gibt, wer die zusätzliche Last tragen sollte, und die Frage, wie diese Argumente gegen andere abgewogen werden sollten, finde ich spannend, aber das empfinde ich als eine andere Diskussion, deswegen antworte ich nur auf diesen Absatz:)

    Solange ihr auf verschiedenen Ebenen diskutiert, werdet ihr euch wohl kaum näherkommen können, oder? Natürlich kann (und muss) man mit dem idealen, hehren Ziel argumentieren so wie baeuchle - allerdings hat Tatrafan völlig pragmatisch daran erinnert, dass das eben nicht von jetzt auf sofort umsetzbar ist, selbst wenn man wollte, oder eben nur zum Preis völliger Überlastung. Daher wird der Fahrpreis selbstverständlich (noch) für die Mengenregulierung benötigt. Beschwerden über den fehlenden Ausbau der ÖV-Infrastruktur bitte an die regierenden Politiker in Deutschland von den 1960er- bis in die 2010er-Jahre richten. Über den unzureichenden Ist-Zustand zu lamentieren und sofortigen kostenlosen ÖV für alle einzufordern klingt halt toll, aber es bringt uns keinen Millimeter weiter, solange die Politik weiterhin so den Ausbau blockiert, der erst die Voraussetzung fürs Befördern von mehr Fahrgästen schafft.

    Solange zu geringe Fahrgastzahlen oder zu geringe prognostizierte Zuwächse als Argument gegen Ausbauten genutzt werden, lehne ich zu große erwartete Fahrgastzahlen als Argument gegen Fahrpreisnachlässe ab – egal, wer für fehlenden Ausbau verantwortlich ist.


    Überlastung gibt es heute schon, und gab es schon vor dem Deutschlandticket, und gab es schon vor dem 9-Euro-Ticket. Die öffentliche Wahrnehmung der totalen Überlastung durch das 9€T war im Wesentlichen davon geprägt, dass am 6. Juni 2022 niemand mehr wusste, dass es auch schon in den Jahren zuvor das Pfingstwochenende gegeben hatte. Das heißt explizit nicht, dass das zeitlich befristete 9ET nicht auch an anderen Tagen und auch an anderen Stellen zu Überlastungen geführt hätte – das hat es.


    Es können mehr Fahrgäste transportiert werden, aber nicht überall und zu allen Zeiten. Das ist, wie gesagt, auch ohne Sondertickets der Fall. Aber wie überall im Verkehr werden sich die Massen "einpendeln" – und zwar hoffentlich auf dauerhaft höherem Niveau als Vor-9€T-Zeit. Und dann ist es ganz pragmatisch, mehr Kapazitäten zu schaffen – pragmatisch ist es m.E. eben nicht, die Hände in die Luft zu werfen und zu sagen „bloß nicht mehr Fahrgäste“.

  • Solange zu geringe Fahrgastzahlen oder zu geringe prognostizierte Zuwächse als Argument gegen Ausbauten genutzt werden, lehne ich zu große erwartete Fahrgastzahlen als Argument gegen Fahrpreisnachlässe ab – egal, wer für fehlenden Ausbau verantwortlich ist.

    Nein, genau das eben nicht. Damit kann man sich die nächsten Jahre noch damit herausreden, "irgendwann" den ÖPNV verbessern zu können, weil ja aktuell gar nicht der Bedarf dafür vorhanden ist. Wir brauchen "jetzt" ein Druckmittel dafür, den ÖPNV zu verbessern und das geht wohl (leider) nur darüber, dass er aktuell überlastet wird. Nur damit wird dann auch genügend Druck auf die Entscheidungsträger herbeigeführt, "sofort" für Verbesserungen zu sorgen, oder sie zumindest unverzüglich anzukurbeln. Andernfalls hängen wir wieder in der Bayern-Spirale ("die Leute hier können keinen ÖPNV nutzen, weil sonntags kein Bus fährt" [den hätten wir zwar schon vor 10 Jahren bestellen können, aber da halten wir mal besser die Klappe]) fest.

    Den ÖV bewusst verschlechtern durch noch mehr Überfüllung, um "Druck" zu erzeugen? Das empfinde ich menschlich (die armen Pendler) wie volkswirtschaftlich als weder erstrebenswert noch klug. Ich erwarte von einer Politik, die die Klimaherausforderungen ernst nimmt, dass sie auf Basis der Notwendigkeiten und eindeutigen Prognosen (zum Beispiel die des VDV) viel stärker in den ÖV-Ausbau investiert, auch wenn noch nicht jeder Zug heute zu 147% ausgelastet ist.


    Und ja: Derartige kluge Politik gibt es nicht in Bayern, andernorts allerdings schon, etwa unter Al-Wazir in Hessen und in Frankfurt (beständig (mehr Ausbau, neue Angebote). Das Problem vor allem im Bund erscheint mir, dass gerade SPD und FDP mit der (sozialpolitischen) Finanzierung des D-Tickets aus Steuertöpfen nun finden, sie hätten ja genug für den ÖV getan, und jetzt nicht nur den Ausbau, sondern selbst den Regelbetrieb zur Disposition stellen, indem sie nicht "noch mehr" Steuergeld einsetzen wollen (was aber für mehr ÖV für mehr Menschen nötig wäre). Das D-Ticket scheint mir bisher eher jene Symbolpolitik fortzusetzen, die das System ÖV über Jahrzehnte hinweg so kaputt gemacht hat. Seid ihr euch sicher, dass die Politik klüger und nachhaltiger entscheidet, wenn der ÖV durch Überfüllung noch schlechter wird? Ich fände es ja gescheiter, einfach die Politiker zu wählen, die direkt das Richtige umsetzen.

  • Den ÖV bewusst verschlechtern durch noch mehr Überfüllung, um "Druck" zu erzeugen? […] Seid ihr euch sicher, dass die Politik klüger und nachhaltiger entscheidet, wenn der ÖV durch Überfüllung noch schlechter wird? Ich fände es ja gescheiter, einfach die Politiker zu wählen, die direkt das Richtige umsetzen.

    Jede Veränderung des Preises kann als „Verschlechterung“ angesehen werden, egal in welche Richtung. UND als Verbesserung. Insofern finde ich deine Prämisse hier sehr wackelig.


    Und zum letzten Satz werden wir sicherlich nichtmal in Forum einen Konsens erzeugen, welche konkrete Wahlentscheidung daraus folgen sollte, selbst wenn wir uns darauf einigen, nur "ÖV muss besser werden" als Entscheidungskriterium heranzuziehen.

  • Den ÖV bewusst verschlechtern durch noch mehr Überfüllung, um "Druck" zu erzeugen?

    Der ÖPNV wird ja nicht verschlechtert. Es gibt aktuell nur keine Verbesserung.


    Mit der gleichen Argumentation könnte man den Bau neuer (weiterer) Autos verbieten: Solange nicht mehr Straßen da sind, dürfen keine weiteren Neufahrzeuge mehr zugelassen werden. Eine wenig umsetzbare Forderung und ein Riesenaufschrei, Eingriff in die persönliche Freiheit und was nicht alles. Im ÖPNV hingegen möchtest Du genau das haben: Es sollen keine Neufahrgäste hinzukommen, weil nicht mehr Plätze da sind.

  • Der ÖPNV wird ja nicht verschlechtert. Es gibt aktuell nur keine Verbesserung.

    Dazu freue ich mich über eine Begründung, bitte. Denn mir fällt keine positive Sichtweise für verstärkte Überfüllung ein (=mehr Fahrgäste bei gleicher Infrastruktur). Mehr Verspätungen, Anschlussverluste, keine Mitfahrmöglichkeit, noch mehr Ausfälle wegen Personalausfällen durch Stress etc. würde ich aus dem Bauch heraus nicht als "nicht verschlechtert" bewerten.

    Im ÖPNV hingegen möchtest Du genau das haben: Es sollen keine Neufahrgäste hinzukommen, weil nicht mehr Plätze da sind.

    Was ist denn die (kurz- und mittelfristig) umsetzbare Alternative?

  • Dazu freue ich mich über eine Begründung, bitte. Denn mir fällt keine positive Sichtweise für verstärkte Überfüllung ein (=mehr Fahrgäste bei gleicher Infrastruktur).

    Umgekehrt bitte: Durch immer mehr Autos kommt es zu einer verstärkten Überfüllung der Straßen. Dem bietet aber niemand Einhalt. Stattdessen ist dies akzeptiert und mündet(e) bislang immer in der Forderung nach (sofortigen) weiteren Straßen. Statt also den Verzicht zur weiteren ÖPNV-Nutzung zu predigen ("erst mal die Kapazitäten hochfahren"), wäre es vielleicht sinnvoller, das "Zulassungsverbot" weiterer PKW zu forcieren.


    Und wie ich oben schon schrieb: Wenn es im ÖPNV nicht genug Leidensdruck gibt, wird es seitens der Politik auch keine Notwendigkeit geben, die Kapazitäten hochzufahren. Wenn allerdings der Dorfbürgermeister oder Landrat (m/w/d) damit rechnen muss, nicht mehr wiedergewählt zu werden, weil er nicht mit Nachdruck den sonntäglichen Stundentakt in seinem Kreis angeht, wird er sich den Argumenten, die sonst nur von so einer merkwürdigen linksgrünversifftweltverbesserischen Randgruppe (oder für den Wahlausgang uninteressanten [Nicht-]Wählergruppen) kamen, schlecht verschließen können.

  • Denn mir fällt keine positive Sichtweise für verstärkte Überfüllung ein

    An Überfüllung ist nichts positiv. An prohibitiv hohen Preisen aber auch nicht. Das Problem in beiden Fällen: verengte Problembetrachtung.


    (Punktuelle, stärkere) Überfüllung ist eine (plausibel erwartbare) Folge von deutlich geringeren Preisen. Eine negative Folge. An negativen Folgen ist nichts gut. Die Frage muss aber lauten: welche positive Sichtweise kann dir zu niedrigen Preisen einfallen?


    Als Analogie: stell dir vor, du würdest ablehnen, Handschuhe anzuziehen, mit dem Argument, es dauert dann lange, sie auszuziehen. Und wenn dann jemand dafür plädierte, es doch zu erwägen, fragen, was denn bitte schön positiv sein sollte, lange beim Ausziehen zu brauchen. Absurd, gell?

  • allerdings hat Tatrafan völlig pragmatisch daran erinnert, dass das eben nicht von jetzt auf sofort umsetzbar ist, selbst wenn man wollte, oder eben nur zum Preis völliger Überlastung.

    Wenngleich die Tatsache an sich unbestritten ist, ist das für mich ein reines Verschleppungsargument, zumal es (wie zwischenzeitlich in anderen Beiträgen zu Recht angemerkt) nicht auf den MIV angewendet wird. Ähnliches Doppelmoral-Beispiel: "Wir müssen an Atomkraft festhalten, denn die Fusionstechnik ist ja bald [in 50 Jahren] salonfähig, aber regenerative Energiequellen sind ungeeignet, weil sie aktuell alleine keine Sicherheit bieten".

  • Umgekehrt bitte: [...]


    Und wie ich oben schon schrieb: [...}

    Okay, Ausweichen und Wiederholung statt Begründung. Dann kommen wir in diesem Detail wohl nicht weiter, schade. :(

    (Punktuelle, stärkere) Überfüllung ist eine (plausibel erwartbare) Folge von deutlich geringeren Preisen. Eine negative Folge. An negativen Folgen ist nichts gut. Die Frage muss aber lauten: welche positive Sichtweise kann dir zu niedrigen Preisen einfallen?

    Kurze Rekapitulation: Es ging nicht um die Frage, ob niedrige Fahrpreise prinzipiell positiv sind. Es ging um die Frage, ob es sinnvoll ist, die Fahrpreise erst zu senken und dann das System für die daraus resultierende Fahrgastmenge auszubauen oder erst auszubauen und dann die Preise (weiter) zu senken, um das aktuell faktisch schon überlastete (weil nicht ausreichend ausgebaute) System nicht noch stärker zu belasten. Die Fahrpreise sind nicht das Problem des ÖV in Deutschland, das Problem sind der fehlende Ausbau und der vielfach fehlende Wille der Politik auszubauen.


    Ich erinnere an das Vorbild Wien: 20 Jahre Ausbau haben den Modal Split auf 40 Prozent hochgetrieben, dann kam das 365-Euro-Jahresticket als Zuckerl obendrauf und machte auch noch die Gelegenheits- zu Dauerkunden. Quellen: ND und Kurier.


    Zur Einordnung der 40 Prozent: Zuletzt war ÖPNV-Anteil in Frankfurt von 22,5 auf 21,3 Prozent gesunken, siehe SrV 2018. ;(

  • Der ÖPNV ist beginennd mit der Nachkriegzeit subventioniert (vorher erfolgte kostenddeckender

    Betrieb - gibt es zB noch in Japan). Anfangs durch die örtlichen Energieversorger die dies über die

    Versorgungspreise abgedeckt haben (also wer sich ein PKW angeschafft hat und keine tram mehr

    nutzte hat doch auf realtive direktem Weg die örtliche Tram gesponsort). Vor etwa 30 Jahren begann

    dann die Umstrukturierung auf Ausschreibung durch Verkehrsverbünde die durch eine Mischung

    aus Fahrgeldeinnahmen und Steuergelder (Kommunen und Land) sich finanzieren. Der Anteil an

    Fahrgeldeinnahmen variiert quer durch Deutschland, aber ich sehe durch diese Struktur nicht dass

    man da vorsätzlich versucht Menschen von der Nutzung des ÖPVs abzuhalten, sondern dass diese

    erst mehr Personen als es sich leisten können.

    Betrachte ich die historische Entwicklung der Mobilität mittels mechanischer Produkte so sind diese

    ein Angebot zur Überbrückung grössere Distanzen gegen Entgeld. Einen Anspruch auf kostenlosen

    ÖPNV für alle sehe ich dadurch nicht, eine finanzielle Unterstützung aus der Gemeinschaftskasse

    für Niedriglohnbereiche/Bürgergeld wäre das der bessere Weg.


    Die Idee - wir überlasten den ÖPNV damit durch den Druck der da entsteht mehr und häufigere

    ÖPNV Verbindungunen geschaffen werden wird nicht funktionieren so lange man Personen

    braucht die die Fahrzeuge entsprechend bewegen. Was nützt ein Fahrplan wenn dieser nicht

    gefahren werden kann? Es gibt keine einfachen Lösungen.

    (man reduziert nicht nur den PKW Verkehr, sondern verlagert auch Wege die bisher zu Fuss

    oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden in den ÖPNV)


    Bernemer: wenn du schon Zahlen nennst solltest du auch erwähnen, dass der % Anteil von MIV

    sowie Fusswege ebenso gesunken ist und der Fahrradanteil ein grossen Plus hat (12,6% auf 19,8%)

    Eine Seite weiter sieht man aber dass die generelle Anzahl der Wege in allen Bereichen gestiegen

    ist - beim Fahrrad aber fast eine Verdoppelung (260k -> 491k)

    Körperliche Bewegung ist gesund - entsprechend kann man da eher eine positive Entwicklung sehen.

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  • Kurze Rekapitulation: Es ging nicht um die Frage, ob niedrige Fahrpreise prinzipiell positiv sind. Es ging um die Frage, ob es sinnvoll ist, die Fahrpreise erst zu senken und dann das System für die daraus resultierende Fahrgastmenge auszubauen oder erst auszubauen und dann die Preise (weiter) zu senken, um das aktuell faktisch schon überlastete (weil nicht ausreichend ausgebaute) System nicht noch stärker zu belasten. Die Fahrpreise sind nicht das Problem des ÖV in Deutschland, das Problem sind der fehlende Ausbau und der vielfach fehlende Wille der Politik auszubauen.

    Was mir an der Diskussion missfällt, ist die Beschränkung auf „das Problem“ statt „eines der Probleme“ und dieser empfundene Gegensatz zwischen Preissenkungen und Angebotserweiterungen.


    Ich glaube, niemand – und auch wenn ich nicht für Holger Koetting sprechen kann, würde es mich wundern, wenn er da eine Ausnahme wäre – will Preissenkungen mit dem Ziel, damit den ÖV zu überlasten. Die Frage ist doch aber einerseits, ob eine „Überlastung“ zu erwarten und dauerhaft wäre (und was genau wir als solche ansehen würden), und andererseits, ob die möglichen positiven Auswirkungen der Maßnahmen, die zu einer Überlastung führen könnten, die negativen Folgen aufwiegen könnten.


    Dabei hilft es eben nicht, nach „positive[n] Sichtweise[n] für verstärkte Überfüllung“ zu fragen.


    Und, weil bisher niemand drauf eingegangen ist, nochmal: wenn wir wirklich unbedingt verhindern wollten, dass mehr Menschen den ÖV nutzen, dürfen wir *gar nichts* mehr machen, allerhöchstens Entlastungsprojekte wie den Fernbahntunnel. (Nice. Problem auf 2040 ausgelagert.) Nordmainische S-Bahn? Mehr Leute im City-Tunnel. DⅡ? Dann kommen ja noch mehr Studierende aus dem Westend zum Hauptbahnhof und überlasten den noch mehr. Reaktivierung Horlofftalbahn? Damit noch mehr Menschen von Friedberg nach Frankfurt mit den Zügen fahren wollen!?? Wo wir sie doch die letzten 20 Jahre so schön auf die Straße gelenkt haben, damit sie uns nicht die Fahrpläne kaputt machen.


    Oder, alternativ: wir machen beides, so gut wir können: Menschen in den ÖV locken und Angebot erweitern. Und akzeptieren, dass auf dem Weg nicht alles perfekt ist. Und insbesondere machen wir uns klar, dass nicht alles perfekt war, bevor wir den Weg begonnen haben und schieben nicht jedes Problem auf dem Weg auf den Weg [sic].