Nein, daran kann es nicht liegen, denn erstens geht es ja nicht nur um Ärzte, und zweitens: in welchem Jahrhundert lebst du denn? Ärzte leisten keinen Schwur.
In der auf dem 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel beschlossenen "(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte" findest du direkt hinter dem Inhaltsverzeichnis folgendes Gelöbnis:
Alles anzeigenGelöbnis
Für jede Ärztin und jeden Arzt gilt folgendes Gelöbnis:
“Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.
Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.
Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.
Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus wahren.
Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied machen weder aufgrund einer etwaigen Behinderung noch nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung.
Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst
nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.
Ich werde meinen Lehrerinnen und Lehrern sowie Kolleginnen und Kollegen die schuldige Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich auf meine Ehre.”
Egal ob du dieses Gelöbnis nun als Schwur, Eid oder sonst was bezeichnen möchtest, dies ist der Berufsethos und das Selbstverständnis eines Artztes (und praktisch des gesamten medizinischen Personals vom Krankenpfleger zum Chirurgen), welcher sich nicht nur der möglichen Konsequenzen seiner Berufsausübung sondern auch seiner Berufsnichtausübung stets bewusst ist. Von Lokführern (und praktisch allen anderen Berufsgruppen) wird dieses Verantwortungsbewusstsein lediglich während der Berufsausübung (also während der Arbeitszeit) erwartet.
ZitatListe bitte konkret auf, welche Grundrechte durch den Streik der GDL angegriffen werden.
Vielleicht werfen wir erstmal gemeinsam einen Blick in das Grundgesetz und zwar in Artikel 2 (den ersten Artikel kennt ja schließlich jeder):
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Hieraus ergibt sich schon gleich dass die Ausübung von Rechten die Rechte anderer Menschen nicht verletzen darf und dass deshalb der Gesetzgeber per Gesetz in die Ausübung dieser Rechte eingreifen darf.
Die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes definieren die folgenden Grundrechte (und Kompliment an HandbookGermany für die übersichtliche Aufbereitung auf deren Webseite über das Grundgesetz):
- Menschenwürde (Artikel 1)
- Freiheit (Artikel 2, 18 und 19)
- Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3)
- Glaubensfreiheit (Artikel 4 und 7)
- Meinungs- und Pressefreiheit (Artikel 5)
- Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6)
- Versammlungsfreiheit (Artikel 9)
- Vereinigungsfreiheit (Artikel 9)
- Briefgeheimnis (Artikel 10)
- Freizügigkeit (Artikel 11)
- Freiheit der Berufswahl (Artikel 12)
- Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13)
- Eigentum (Artikel 14 und 15)
- Staatsbürgerschaft (Artikel 16)
- Petitionsrecht (Artikel 17)
Ich habe mal die Grundrechte markiert bei denen mir konkrete Beispiele einfallen, bei welchen ein Bürger bei dessen Ausübung zumindest theoretisch durch den GDL-Streik behindert werden könnte:
- Auf dem Weg zu einem wichtigen medizinischen Termin oder einer Behandlung: Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2)
- Auf dem Weg zu einem Gottesdienstes oder einer Wallfahrt: Glaubensfreiheit (Artikel 4)
- Auf dem Weg zu einem Einsatzort zwecks journalistischer Tätigkeit: Meinungs- und Pressefreiheit (Artikel 5)
- Auf dem Weg zu einer Demonstration: Versammlungsfreiheit (Artikel 8')
- Beim Versuch frei zu reisen: Freizügigkeit (Artikel 11)
Wenn sich der Streiks über längere Zeit hinziehen sollte könnten auch noch andere Grundrechte verletzt werden:
- Wenn wiederholte streikbedingte Verspätungen zur Kündigung des Arbeitsverhältnis (durch den AG oder den AN selbst) führen: Freiheit der Berufswahl (Artikel 12)
- Wenn wiederholte streikbedingte Verspätungen einen Wohnortswechsel erfordern: Freie Wohnortswahl (Artikel 11)
Kurzum: wenn dein Streik mich in einer der eben beschriebenen Situationen behindert, dann erschwert oder verhindert dein Streik mir die Ausübung meiner Grundrechte.
Du kannst die obigen Beispiele natürlich sämtlich als an den Haaren herbeigezogen ablehnen, aber dann frage dich warum das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde der GDL gegen das Tarifseinheitsgesetz nur in einzelnen Punkten und nicht vollständig stattgegeben hat. Und wenn du dir mal eben jenes Urteil unseres obersten Verfassungshüters anschaust, dann steht dort bereits im ersten Leitsatz:
1. Das Freiheitsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG schützt alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen, deren Bestand und Anwendung sowie Arbeitskampfmaßnahmen. Das Grundrecht vermittelt jedoch kein Recht auf unbeschränkte tarifpolitische Verwertbarkeit von Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen. (Rn.131)
Sprich: gerade weil die Mitglieder der GDL durch ihre Tätigkeit das Potential haben den Alltag von Millionen Deutschen empfindlich zu stören, hat der Gesetzgeber grundsätzlich das Recht die Ausübung des grundgesetzlich verbrieften Streikrechts zu begrenzen. Alles andere ist somit nur noch eine Frage der Verhältnismäßigkeit - und je aggressiver und rücksichtloser die GDL versucht den verbliebenen rechtlichen Rahmen zum eigenen Nutzen auszureizen, umso bessere Argumente hat der Gesetzgeber diesen weiter zu begrenzen.
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Leider fehlt mir jetzt die Zeit auf die anderen Punkte und Beiträge einzugehen (hier in Kanada ist es schon nach Mitternacht), aber ich möchte aufrichtig Tatrafan danken, dass er es zumindest in Erwägung zieht dass er mich falsch verstanden haben könnte:
Denn dann stimmen wir (oder zumindest ein sehr großer Teil von uns) mit den Füßen ab: dann sind wir weg vom Führerstand und aus dem Zug; Arbeitsverhältnisse kann man bekanntlich kündigen, und wenn man uns dann seitens der Politik praktisch an die Führerstände fesseln und knebeln wöllte, wie du es hier effektiv vorschlägst (wenigstens verstehe ich das so), würden wir sagen "habt uns mal herzlich gerne, macht euren Kram doch alleene" und unsere Arbeitsverhältnisse in großem Stil kündigen.