ZitatAlles anzeigen"Wir werden das System schon noch lernen"
Bürger informieren sich über neue Stadtbusse / Fahrer müssen Augenmaß beweisen / 90 Kinder warten auf den Schulbus
Von Norman K ö r t g e
Dietzenbach - Das Papiertaschentuch gehörte für die ersten Fahrgäste des Dietzenbacher Stadtbus-Systems am Wochenende zur Grundausstattung. Nicht, um etwaige Freudentränen wegzuwischen, sondern vielmehr um eine klare Sicht nach draußen zu haben. Denn das regnerische Wetter sorgte für beschlagene Scheiben im Wageninneren. Immerhin galt es, die Kreisstadt kostenlos mit dem Bus zu erkunden und durch die eine oder andere Straße zu fahren, die vielen bislang nur vom Stadtplan bekannt war. Die meisten Fahrzeuge waren gut gefüllt.
"Ist doch fast so wie die Sightseeing-Tour in Berlin", versucht eine Mutter ihren missmutig dreinschauenden Sohn aufzumuntern, der offensichtlich keine Lust auf die Fahrt mit der Linie 56 hat. Zwar bleiben die großen Sehenswürdigkeiten auf der Fahrt durch das Steinberger Neubaugebiet aus, doch zu sehen gibt es jede Menge. "Hier hinten war ich noch nie. Ist ja allerhand gebaut worden", sagt ein Mann bei der Fahrt durch den Gustav-Heinemann-Ring.
Doch nicht nur die Rundfahrt stößt bei den Fahrgästen auf Freude, sondern auch die Fahrkünste der Fahrerinnen und Fahrer, die wohl noch bis Anfang April mit den bis zu 11,90 Meter langen Fahrzeugen durch die Straße kurven müssen. Erst dann werden die kürzeren Midi-Busse geliefert, wie Stadtwerke-Chef Christian Locke erläutert. Bis dahin müssen die Busfahrer viel Augenmaß beweisen, was bei den Fahrgästen meist mit einem etwas skeptischen Blick oder dem Ausspruch "Hier möchte ich nicht Busfahrer sein" quittiert wird.
So bedarf es erheblicher Rangierarbeit, als sich in der Taunusstraße zwei Stadtbusse begegnen und erst nach mehrmaligem Vor- und Zurückfahren die Stelle passiert ist. "Das sind routinierte Fahrer mit einer defensiven und umsichtigen Fahrweise", erzählt Locke. Ähnlich knapp geht es auch im Westend zu, wo selbst einige Haltestellen zugeparkt sind. "Ab Montag wird dort das Ordnungsamt verstärkt kontrollieren", erklärt dazu Heinz Schmitt, ehemaliger Ordnungsamtsleiter und jetzt als Berater für die Stadtwerke tätig. Einige Busfahrer kommen am Samstag richtig ins Schwitzen: Sie verfahren sich und finden nur über Umwege auf den richtigen Weg zurück.
Nichtsdestotrotz kommt das Stadtbussystem bei den meisten Fahrgästen gut an. "Ich habe kein Auto und kann jetzt viel müheloser die Geschäfte erreichen", berichtet Heidi Boehm. Nur mit der Pünktlichkeit hapert es an diesem Tag noch etwas. Dies liegt nach Meinung von Locke vor allem daran, dass sich die meisten Kunden mit dem System noch nicht auskennen, viele Fragen haben und oft doch wieder aussteigen, weil es der falsche Bus ist - von zügigem Einsteigen also keine Spur. "Ab Montag muss es dann aber richtig fluppen", sagt Locke.
"Es ist halt eine Gewöhnungssache", meint dazu eine Frau, die auf den im Bus verteilten Plänen den Linienverlauf mit dem Finger verfolgt, während der Bus an den mit den neuen blauen Schildern versehenen Haltestellen hält oder vorbeifährt. "Wir werden es schon noch lernen", schaut ein älterer Mann zuversichtlich in das neue Mobilitätszeitalter, nachdem ihm der Unterschied zwischen Linie 56 und 57 erklärt worden ist.
Bürgermeister Stephan Gieseler hatte dies bereits bei der verregneten Jungfernfahrt festgestellt. "Es ist ein großer Tag", meinte Gieseler und vermutete scherzhaft hinter dem schlechten Wetter eine Marketingmaßnahme von Locke, um mehr Leute in die Busse zu locken. Genauso wie Jürgen Hoffmann, Geschäftsführer der Kreis-Verkehrsgesellschaft, lobte der Bürgermeister das System als zukunftsweisend.
Auch in Sachen Schulbus ist Bewegung gekommen. Wie Christian Locke mitteilte, hat die Bedarfsermittlung an Dietrich-Bonhoeffer-, Ernst-Reuter- und Heinrich-Mann-Schule ergeben, dass mehr als 90 Schüler ein derartiges Angebot in Anspruch nehmen würden. Nun muss noch eine Wirtschaftlichkeitsrechnung durchgeführt werden, bevor der Schulbus an den Start gehen kann.
Dazu: Leserbrief
Quelle: http://www.op-online.de