Da sind wir der gleichen Meinung. Ich hängte mich nur an der Grundrechts-Frage auf.
Das halte ich ebenfalls für technisch richtig, aber letztlich ist das wieder ein Framing, dass die Verantwortung einseitig auf die Gewerkschaft ablädt. Der Tarifkonflikt hat unsoziale Folgen insbesondere für arme Menschen.
Situation 1: Richard Lutz und Claus Weselsky verabreden sich zu einem Schaukampf um eine Einigung zu erzielen ("Gewinnst du unterschreibst du mein Tarifangebot, gewinnst du unterschreibe ich deines").
Ist dies ein Tarifkonflikt? Ja.
Haben beide Tarifparteien Einfluss darauf wie dieser Tarifkonflikt ausgetragen wird? Ja.
Werden durch diesem Tarifkonflikt die Grundrechte Dritter berührt? Nein.
Situation 2: Die GDL ruft einen Streik aus. Es wird die Hälfte aller Schichten bestreikt. Die GDL verkündet ihre Streikabsicht eine Woche im Vorraus, sodass die DB drei Tage vor Streikbeginn einen Streikfahrplan herausgeben kann, in welchem auf allen Linien jede zweite Fahrt ausfällt.
Ist dies ein Streik? Ja.
Haben beide Tarifparteien Einfluss darauf wie dieser Streik ausgetragen wird? Nein, nur die GDL.
Werden durch diesem Tarifkonflikt die Grundrechte Dritter berührt? Ja, aber deren Ausübung ist mit kleinen Anpassungen an die Mobilitätsgewohnheiten weiterhin uneingeschränkt möglich.
Situation 3: Die GDL verkündet dass ab Übermorgen alle Mitglieder streiken. Kaum jemand weiß welche Züge noch fahren. Tausende Menschen stehen auf Bahnsteigen und warten auf Züge, die nicht mehr kommen.
Ist dies ein Streik? Ja.
Haben beide Tarifparteien Einfluss darauf wie dieser Streik ausgetragen wird? Nein, nur die GDL.
Werden durch diesem Tarifkonflikt die Grundrechte Dritter berührt? Ja, durch den Wegfall jeglicher Planungssicherheiten ist es vielen Bürgern nicht mehr gesichert möglich, bestimmte Grundrechte auszuüben.
Es ist folglich nicht der Tarifkonflikt, welcher Unbeteiligte bei der Ausübung ihrer Grundrechte beeinträchtigt, sondern die von der GDL gewählten Streiktaktiken. Für diese trägt einzig und allein die Arbeitnehmerseite die Verantwortung, da die Arbeitgeberseite hier nichts mitzureden hat.
Hat, glaube ich, auch nie ernsthaft jemand behauptet, außer die jeweilige Gegenpartei. Zu einem Streit gehören immer Zwei.
Trotzdem trägt jede Seite die alleinige Verantwortung für ihre Wahl der hierbei verwendeten Mittel.
Nur ganz kurz: laß "die Politik" mit diesen Aussagen (auch mit diesen Formulierungen) Gesetze raushauen, die den Eisenbahnern das Streiken verbieten, weil wir ja so absolut unterrepräsentativ für die Bevölkerung sind und deshalb gefälligst immer und ständig einfach nur zu funktionieren haben, egal was die Arbeitgeberseite "anbietet" oder eben auch nicht.
Es geht nicht darum irgendjemandem das Streikrecht zu verbieten. Es geht allein darum die Grundrechte und Interessen Unbeteiligter zu berücksichtigen. Und das bedeutet, die Verhältnismäßigkeit der gewählten Mittel zu beurteilen. Dass wenn 4.000.000 Menschen (ca. 5% der Bevölkerung) ihre Arbeit niederlegen der Alltag vieler Menschen gestört wird ist unvermeidlich und muss von diesen generell hingenommen werden. Ob dasselbe im selben Maße zutrifft wenn nur 40.000 Menschen streiken (diese aber normalerweise 10 Millionen Bahnfahrten pro Tag ermöglichen), ist eine ganz andere Frage. Die rechtliche Bewertung eines Eisenbahnausbauprojektes für welches 10 Menschen enteignet werden und umziehen müssen sieht ganz anders aus als für ein identisches Projekt, für welches dies auf 1.000 Menschen zutrifft. Solche Entscheidungen sind oftmals eine Art Nutzen-Kosten-Rechnung, bei der geschaut wird ob der Nutzen einer Maßnahme (also die Anzahl der Menschen welche profitieren, multipliziert mit dem durchschnittlich erzielten Nutzen dieser Menschen) dessen "Kosten" (also die Anzahl der Menschen für welche Nachteile entstehen, multipliziert mit dem durchschnittlich erlittenen Nachteil dieser Menschen) übersteigt und somit überwiegt. Nur durch diesen Interessenausgleich ist gesellschaftliches Leben und Freiheit überhaupt möglich und nichts anderes verlangt Artikel 2 unseres Grundgesetzes...
Du ziehst Dir aber ziemliche vermeintliche Rechte heraus. Die GDL will dir keines dieser Rechte verbieten.
Mein Recht ungehindert (d.h. mit dem allgemein vorhandenen Verkehrsangebot) Arbeit, Arzt, Religions- oder Demonstrationsstätten aufzusuchen ist genauso grundgesetzlich geschützt wie dein Recht ungehindert zu streiken. Die Frage ist was passiert, wenn deine Ausübung von Artikel 9 Abs. 3 GG mich bei der Ausübung von Artikeln 4,8,11,12 GG behindert, also die beabsichtigte Ausübung unserer Grundrechte im direkten Konflikt zueinander stehen...
Zitat
Es ist Dir zumutbar, dass Du: zu Fuß gehst, mit dem Fahrrad fährst, ein Taxi nimmst, einen Leihwagen besorgst, oder sogar eines der MIV-Verkehrsmittel (Moped, PKW, …) käuflich erwirbst.
Stell dir vor du bist ein Bürgergeld-Empfänger, welcher sich vor Wochen eine Fahrkarte für 100 Euro gekauft hat, um von Frankfurt nach Berlin zu fahren, wo er einen seltenen Arzttermin für ein dringendes, seltenes und ernstes medizinisches Problem ergattert hat. Plötzlich erhältst du eine Email, dass deine Fahrt aufgrund eines Streikes ausfällt und dir die Fahrkarte erstattet wird. Woher nimmst du das Geld wenn jetzt der Flug schon 500 Euro kostet? Kannst du dir das Geld auf die Schnelle leihen (und überhaupt realistischerweise jemals zurückzahlen) oder musst du den Termin verschieben, auch wenn es Monate dauern kann bis du einen neuen Termin bekommst. Solche Fall sind natürlich selten, aber kommt bei 10 Millionen Bahnfahrten pro Tag (die DB zählt jährlich 808 Millionen Fahrgäste im Regional- und 68 Millionen im Fernverkehr) doch zwangsläufig und sicherlich in erschreckender Zahl vor.
Auf solche Leute muss dein "Dann sollen sie halt Taxi fahren" als fast so überprivilegiert und von der Lebensrealität der breiten Bevölkerung entrückt wirken wie Marie Antonettes' berüchtigtes "Dann sollen sie halt Kuchen essen!"...