Ich grübel' gerade... als Nicht-Pendler, der aber grundsätzlich ÖPNV-affin ist (ich habe ohnehin kein Auto, also laufe ich mehr), wäre ich der klassische Gelegenheitsnutzer: Kommt gerade eine Tram, nehme ich sie statt zu laufen und wenn sich die Gelegenheit ergibt, hopse ich in der verlängerten Mittagspause mal schnell in die Bahn zur Konsti.
Als Homeoffice-User (allerdings schon vor Corona) habe ich meine Tageskarten halt immer sehr gezielt für gebündelte Fahrten eingesetzt; mit dem 9-Euro-Ticket hat sich das verteilt und entspannt.
Bei 69 Euro hole ich dann wieder den Bleistift 'raus: Rechnet sich das? Wie oft im Monat fahre ich nach Wiesbaden, Offenbach, Rödermark, Hanau, Darmstadt?
Es hat was mit der Psyche zu tun, weniger mit kaufmännischem Denken, denn: Beim 360-Euro-Ticket (nur für Frankfurt, wohlgemerkt!) würde ich mir umgehend eins holen, auch wenn ich es nicht jeden Monat ausreize: Allein die Möglichkeit, unbeschwert und ohne Gedanken an "Hab' ich jetzt eine Fahrkarte oder nicht?" den ÖPNv zu nutzen, ist doch genial! Und wenn ich mal für weniger als 30 Euro pro Monat in Frankfurt fahre: Geschenkt! Das wäre es mir allemal wert, das Geld habe ich auf Tasche / im Budget.
Laut tagesschau kommen mal wieder die üblichen Verdächtigen um die Ecke:
- "Das Bundesverkehrsministerium hat zurückhaltend auf den Vorschlag für ein bundesweites 69-Euro-Ticket im Anschluss an das laufende 9-Euro-Ticket reagiert."
Okay, das ist unter der aktuellen Führung ja geradezu erwartbar.
- "Auch SPD-Fraktionsvizechef Detlef Müller plädierte im Gespräch mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" für eine Nachfolgeregelung. "Ob ein Anschlussticket dann 39, 49 oder 69 Euro kostet, ist zweitrangig", sagte er. "Es muss aber in einem Rahmen sein, der psychologisch wirkt und sich für Menschen lohnt, ihr Auto stehen zu lassen.""
Mutig. Aber immerhin zeigt er sich hinsichtlich des Preises flexibel (mal sehen, was passiert, wenn es um die Finanzierbarkeit geht). Schön finde ich, dass hier der psychologische Aspekt betont wird; bei mir scheint er ja, wie oben beschrieben, zu wirken. Nur, dass ich eben erst gar kein Auto stehen lassen muss.
-
"Der Linken-Abgeordnete Bernd Riexinger schrieb auf Twitter, ein 69-Euro-Ticket sei zu teuer."
Beinahe hätte ich geschrieben "berufsbedingt muss er das", aber das grenzt an Polemik. Aus seiner Haltung heraus verstehe ich diesen Einwand.
- Greenpeace-Verkehrsexpertin Marissa Reiserer wird wie folgt zitiert:
""Damit ein Klimaticket Haushalte wirklich entlastet und gleichzeitig eine wirtschaftlich attraktive Alternative zum eigenen Auto bietet, darf es nicht mehr als einen Euro pro Tag kosten." Angesichts der für viele Haushalte bedrohlich steigenden Nebenkosten müsse ein solches Ticket sofort auf den Weg gebracht werden, damit es im Herbst weiter verfügbar sei, so Reiserer."
Liebe Frau Reiserer, als dauerhafte Nachfolgeregelung - bundesweit! - ist das finanziell vermutlich zu schwachbrüstig aufgestellt. Hinzu kommt, dass die psychologische Marke "Ein Euro pro Tag" irgendwann durchbrochen werden muss, und das wird kommunikativ / im Marketing eine Aufgabe, die ich nicht auf den Tisch gelegt bekommen möchte.
Als ich die erste Meldung in Sachen "69 Euro" gelesen habe, war mein erster Gedanke: "Kaufe ich mir nicht außer in Monaten, wo ich von vornherein weiß, dass ich diese Grenze reiße". Zweiter Gedanke: Chef überreden, das aus [hier relevanten dienstlichen Grund einsetzen] zum Gehaltsbestandteil zu machen: Ich habe das Ticket im Abo auf Tasche und er kann es als Betriebsausgabe für seinen Mitarbeiter absetzen (so denn das Finanzamt mitspielt).
Fakt ist, das kann ich bereits jetzt resümieren: Mit dem Ticket in der Tasche ist die Bereitschaft, den ÖPNV auch mal "spontan" zu nutzen oder ohne den Hintergedanken "Ich brauche ja noch ein Ticket" in Anspruch zu nehmen, gestiegen. Ob das nun zu einer gleichmäßigeren Auslastung außerhalb der Spitzenzeiten führt oder zu einer generellen Mehrbelastung, überlasse ich den Experten.
Nun bin ich kein Pendler, der entlastet werden muss oder möchte. Aber mit einem entsprechend attraktiven Angebot (da ist sie wieder, die Psychologie-Kiste!) wäre ich bereit, mir standardmäßig ein Ticket "für den Fall der Fälle" ins Portemonnaie zu legen und so einen (ja, kleinen!) Umsatz zu generieren, den es so sonst nicht gäbe.
Wurde das schon mal eruiert oder ist dieser Effekt vernachlässigbar? 