ZitatAlles anzeigenVerdreckte Toiletten -Was die Deutsche Bahn ihren Fahrgästen zumutet Autorin : Birgit Kappel
report München ist unterwegs mit Dr. Gero Beckmann. Seit Jahren ärgert sich der ausgebildete Hygieniker der Labor L+S AG und regelmäßige Bahnfahrer über den Zustand auf deutschen Zugtoiletten. Seit zwei Monaten führt er deshalb eine Art Pilotstudie durch. Wie begleiten ihn bei seiner Inspektion durch die Züge, Gero Beckmann analysiert die erste Toilette:
„Diese Toilette ist offensichtlich noch eine ältere, wird im offenen System geführt. Beim Betreten bereits sehen wir das vollgefüllte Waschbecken, mit einer trüben, undefinierbaren Brühe, mit Papierresten, aber auch anderen Resten. Am Fußboden findet sich vor dem Waschbecken ein Blutfleck. Toilette: Flüssigkeitsspritzer, daneben einzelne Kotspritzer, ungereinigt. Kotspritzer auch in der Schüssel. Der Deckelrand sieht vernünftig aus. Allerdings, Urinstein links und rechts.“
Der Zustand jeder Toilette, die Beckmann vorfindet, wird in Wort und Bild dokumentiert. Die Ergebnisse sind oft ekelerregend.
Frage report München: „Haben Sie heute schon ein sauberes Klo gesehen?“
Antwort Dr. Gero Beckmann: „Ehrlich gesagt nein. Auch bei dieser Toilette sieht man schon beim ersten Hinsehen, offensichtlich stimmt etwas mit dem Waschbecken nicht. Seifenspuren, dahinten gibt es schaumigen Speichel. Wir probieren hier mal die Spülung. Ich habe jetzt gedrückt. Spülung funktioniert nicht, die Wasserspülung. Jetzt wollen wir doch mal gucken, was uns hier erwartet. Aha, es liegt noch Papier drinnen. Auch hier probiere ich die Spülung einmal aus. Der Mechanismus funktioniert. Allerdings sie sehen: es gibt überhaupt keine Wasserspülung. Das Papier wird zwar entsorgt, aber nicht gespült.“
Gero Beckmann dokumentiert jedoch nicht nur den sogenannten Schmuddelfaktor. Von allen Zugtoiletten, die er kontrolliert, nimmt er mehrere Proben. Sie sollen im Labor auf hygienisch relevante Keime untersucht werden. Eine Woche später. report München besucht das Labor L+S AG in der Nähe von Würzburg. Die Proben von 38 Toiletten haben Gero Beckmann und seine Kollegen bislang ausgewertet. Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der Proben sind auffällig. Und einige davon sind sogar äußerst pikant.
Gero Beckmann gibt das Ergebnis bekannt:
„Wir haben einmal auf einer Toilettenbrille Salmonellen nachweisen können, wir haben insgesamt sieben Mal einen Eitererreger gefunden, davon zweimal auf Toilettenbrille und interessanter Weise fünfmal am Waschbeckenrand bzw. an der Toilettenpapierhalterung und in vier Fällen auch Darmbakterien in der Nähe des Waschbeckens isolieren können. Die Ergebnisse zeigen ganz deutlich, dass der Bahnfahrer, wenn er die Sanitäreinrichtungen in der Bundesbahn benutzt, ein gewisses Risiko eingeht, dort eine Infektion zu erleiden.“
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse auch problematisch, so der Hygieniker, seien die sogenannten Fallrohrtoiletten. Obwohl sich die Bahn 1995 selbst zur Ausstattung aller Reisezugwagen mit geschlossenen Toilettensystemen verpflichtet hat, fahren heute, neun Jahre später immer noch 26 Prozent mit den rückständigen Fallrohrtoiletten. Mit anderen Worten – täglich fallen menschliche Fäkalien aus rund 3000 Eisenbahnwaggons direkt auf die Gleise.
Aus Sicht des Hygienikers Beckmann ein unhaltbarer Zustand:
„Hier sehen sie, wenige Meter, ungefähr drei dreieinhalb Meter vom Gleiskörper entfernt, ein stark durchtränktes, schon leicht verwestes Toilettenpapier. Man kann sich leicht vorstellen, das war mit Fäkalien durchtränkt und dort darin befindliche Salmonellen, sind jetzt entweder ausgewaschen oder bereits beim Absetzen durch den starken Fahrtwind verwirbelt und landen zum Beispiel auf Feldwegen und landwirtschaftlichen Nutzflächen.“
Eine solche Schlussfolgerung sei höchst spekulativ meint die Bahn, und überhaupt habe das Umweltbundesamt in einer Untersuchung bestätigt, weder für Gleisarbeiter noch für Anwohner bestehe eine Gefahr durch ausgeschiedene Fäkalien. Und deshalb gebe es auch keinen zwingenden Handlungsbedarf.
Wann das Unternehmen Zukunft die rückständigen Fallrohrtoiletten endgültig abschafft, kann uns der Pressesprecher nicht sagen. Und auch beim Thema Hygiene innerhalb der Zugtoiletten sieht die Bahn nur bedingten Handlungsbedarf. Keime gebe es schließlich überall, meint der Pressesprecher. Gunnar Meyer von der Deutsche Bahn AG sagt:
„Also eine Toilette muss sauber sein und muss gereinigt sein. Wenn das nicht ist und wir wissen, es gibt Fälle, wo es nicht so ist, muss es passieren.
Der zweite Punkt ist, es gibt kein Gesundheitsrisiko, jedenfalls gibt es keinen Fall, jedenfalls der mir bekannt ist, wo eine Krankheit übertragen wurde, durch den Besuch einer Zugtoilette."
Frage report München: "Das heißt, solange niemand kommt und sagt, ich habe mir meine Durchfallerkrankung auf der Zugtoilette geholt, solange würden sie davon ausgehen, dass es keine Gesundheitsgefährdung gibt?"
Antwort Gunnar Meyer: "Also die Bahn gibt es schon sehr lange. Das ist nicht ne Sache, die wir seit gestern eingeführt haben und dann mal gucken wie es läuft."
Frage report München: "Das ist die Antwort darauf?"
Antwort Gunnar Meyer: "Ich meine, es hat bisher nicht stattgefunden und die Bahn existiert schon sehr sehr lange. Auch mit diesem Toilettensystem.“
Kein Wunder, dass es keine dokumentierten Fälle gibt, meinen Experten. Denn im Falle einer Ansteckung auf einer Zugtoilette hätte der Bahnreisende nur einen theoretischen Anspruch auf Schadensersatz. Der Umweltrechtler Priv. Doz. Dr. Thilo Brandner von der Humboldt Universität Berlin erklärt:
„Das ist natürlich ein Beweisproblem, denn sie müssen als Kläger immer den Nachweis dafür führen, woher sie die Gesundheitsbeeinträchtigung haben und ob die Bahn nun tatsächlich dafür verantwortlich ist und dieser Nachweis ist natürlich relativ schwer zu führen. Es gibt dann natürlich gewisse Wahrscheinlichkeitsgrundsätze, beispielsweise können sie nachweisen, dass die Toilette, die sie benutzt haben, ganz grauenvoll verschmutzt war. Das können sie durch Zeugen nachweisen, wenn sie zum Beispiel Bekannte im Abteil hatten. Aber es kann schwierig werden.“
Die Bahn hat rechtlich gesehen also gute Karten. Dennoch findet Gero Beckmann das Verhalten des Unternehmens unverantwortlich vor allem deshalb, weil es zumindest bezogen auf die Innenraum-Hygiene eine kostengünstige Lösung gäbe:
„Im Grunde genommen ist es ganz einfach, sämtliche Züge müssten mit Desinfektionsmitteln on board bestückt werden. Und zwar regelmäßig.“
Doch selbst das lehnt die Bahn ab. Und zwar – so unglaublich es klingen mag – zum Wohle des Kunden, wie Gunnar Meyer meint:
„Da muss man genau abwägen und man kann nicht einfach Desinfektionsmittel irgendwo hinstellen. Auch nicht irgendwelche Tücher, die mit Desinfektionsmitteln versetzt sind, weil das das allergische Risiko bei den Reisenden erhöht, bei denen, die dafür anfällig sind. Sie wissen, das Allergien auch in Deutschland sehr stark zugenommen haben, das ist also ein Grund.“
Gero Beckmann`s Fazit:
„Hygiene ist ein hohes Gut, Hygiene ist keine Kosmetik und in Zeiten einer globalen Ausbreitung von Seuchen wäre die Bahn als einer der Hauptträger von Mobilität in dieser Republik gut beraten, sich dieses Themas anzunehmen und es nicht auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.“
Doch wie es aussieht, bleibt erst mal alles so wie es ist. Die Keime sprießen und das Unternehmen Zukunft guckt zu.
Link:http://www.br-online.de/daserste/report/archiv/2004/00117/
Quelle: BR - Bayerischer Rundfunk - http://www.report.de / http://www.br-online.de