Streiks Tarifrunde 2023 [ursprünglich: Warnstreik am 17.02.2023]

  • Spannend hier mitzulesen - ich freue mich aber, dass hier die Fahne derer hochgehalten wird, die ich für vernünftig halte ;)


    Den Ton zwischen DB AG und EVG im Sommer und jetzt zwischen DB AG und GDL finde ich beidseits wirklich furchtbar. Sowohl intern als auch extern wird hier in einer Art übereinander hergezogen, dass man sich wirklich fragt, ob man hier auf dem Fußballplatz oder bei vernünftig diskutierenden Menschen ist.


    Ganz bar der Diskussion: Dass weniger Arbeit ein extrem gutes Argument ist, Personal zu bekommen, sollte auf der Hand liegen. Es ist (in Realität, ich habe es mehrfach selbst erlebt) ein riesen Argument zu sagen: ja, woanders verdienst Du x % mehr aber hier gibt es 28, 34 oder 40 Tage Urlaub. (und das ist de-facto die Wahl zwischen 38, 39 und 40h Woche, allerdings ohne (!) Lohnausgleich). (und ich arbeite im IT-Bereich, da gibt es wirklich auch gute Optionen ohne Eisenbahnhintergrund, sogar da zieht das recht gut bei unter- bis eher mäßig durchschnittlicher Bezahlung)


    Man stelle sich nur mal vor, wie viele Schichten besetzt werden, wenn plötzlich mehr Personal an die Tür klopft, weil es in anderen Betrieben 40h-Woche aber bei der DB eine 37/36/35h-Woche gibt.


    Auch wenn ich aus praktischen Gründen (ich habe selbst sehr viel Mehrarbeit dadurch) den Streik gerade so halbwegs verfluche, kann ich die Argumente durchaus nachvollziehen. Und ich profitiere ja selbst davon - ich finde es ehrlich gesagt ein riesen Argument, 40 Tage Urlaub im Jahr zu haben.


    Ansonsten schließe ich mich den Argumenten an - nur weil es woanders blöder, schlechter bezahlt, mieser verhandelt oder ähnliches ist, delegitimiert das noch lange nicht einen Streik. Über das genaue wie und wo und den Ton kann man auf jeden Fall streiten - siehe oben. Die Inhalte kann ich nachvollziehen und wer weiß, ob das nicht auf mittelfristige Sicht sogar die klügere Variante wäre für die DB AG, weil es Personalmangel lindert.


    Meiner Ansicht nach liegt ohnehin viel Potential in eher unbekannten, unangenehmen und schwer zu durchdringenden Themen wie Jahresarbeitszeit, Arbeit in Arbeitszyklen, Pausenzeiten bei Wenden etc. und so Kleinkram wie gefühlte 1.500 verschiedene Arten von Schichtzulagen bei bestimmten Tätigkeiten, Weglassungen, Wegen, Zeiten, whatever.

  • Viel Argument dafür, dass die Bedingungen besser werden, wenig Argument dafür, deswegen jetzt zu streiken. Oder überlese ich was?

    ja, dass die Bahn die Kernforderungen der GDL als Forderungen non grata erklärt hat und darüber 0 und 0 und gleich nochmal 0 verhandeln möchte

  • Aber Mirco_B - das ist doch das Wesen einer Verhandlung. Im Vorfeld sagt A 1&1 = 1 und B 1+1 = 2 ... Beide lehnen die jeweils andere Meinung ab. Erst wenn sie an einem Tisch sitzen, können sie ihre Punkte auflösen. Aber seine eigene Meinung rausposaunen und bei Ablehnung der Gegenseite ohne Verhandlung gleich streiken, dass würde privatrechtlich als Nötigung geahndet.


    Nun ist es einmal so, wie es ist. Lassen wir uns mal überraschen wie es weiter geht.

  • ja, dass die Bahn die Kernforderungen der GDL als Forderungen non grata erklärt hat und darüber 0 und 0 und gleich nochmal 0 verhandeln möchte

    kannst du mir bitte den konkreten Teil des offenen Briefes nennen, in dem steht, dass der Unwillen der Bahn, in dieser Tarifauseinandersezung unter die darin aufgestellten Forderungen zu verhandeln, auch nur ein Teilgrund für den Streik ist?

  • Moin. Ich habe bislang in dieser Diskussion nur mitgelesen, um mir eine Meinung zu bilden. Bisher habe ich einige Aspekte nicht so wirklich nachvollziehen können (und vielleicht tue ich mich immer noch schwer), aber eins hat mich jetzt aufhorchen lassen:

    Man stelle sich nur mal vor, wie viele Schichten besetzt werden, wenn plötzlich mehr Personal an die Tür klopft, weil es in anderen Betrieben 40h-Woche aber bei der DB eine 37/36/35h-Woche gibt.

    Das war für mich bislang so ein Knackpunkt, den ich seitens der GDL nicht verstanden habe: Wenn die Arbeitszeiten reduziert werden, wo soll denn da neues Personal (das ja dann zusätzlich benötigt würde) herkommen? Solch qualifizierte Mitarbeiter wachsen ja nicht auf Bäumen oder lungern in anderen Beschäftigungsverhältnissen herum, wohl darauf wartend, dass sich was bei der DB tut?


    Hier bräuchte ich bitte mal eine Verständnishilfe.


    Selbst angenommen, wenn man damit Personal von Mitbewerbern abwerben könnte, dann müsste man es ja zusätzlich finanzieren, mit dem neuen, teureren Tarif. Ein Spagat.

    Bislang habe ich die Meinung vertreten, dass sich die GDL hier selber ein Bein stellt: Mehr Geld und weniger Arbeit, wie soll das gehen? Wenn kein Personal nachkommt und die Arbeitszeiten reduziert werden, dann muss das Bestandspersonal durch die Hintertür ja doch wieder mehr arbeiten. Vielleicht gibt es dafür mehr Geld, aber was wäre wirklich gewonnen?


    Tut mir leid, aber ich habe die Weselsky-Logik noch nicht so ganz drauf. Oder sie wurde nicht gut genug kommuniziert.
    Im Augenblick wirkt das alles mehr wie ein Klassenkampf auf mich als eine Verhandlungsbereitschaft eines Arbeitnehmervertreters.


    Warum nur muss ich spontan an "Bärendienst" und "Sympathieverlust" denken? Lustig, im Augenblick hat die DB bei mir mehr Sympathien, und die GDL-Mitglieder (leider) weniger. So sehr ich diesen keinesfalls einfachen Job respektiere, aber da wird gerade (wieder mal?) ziemlich viel Porzellan zerschlagen.


    Wer von euch könnte mir - sachlich! - helfen, meinem Weltbild einen Anstupser zu geben?

    Hat die DB nur deshalb ein Personalproblem, weil man sich ob der Arbeitszeiten dort nicht bewerben möchte?

  • Was man bei der Bahn auch bedenken muss: es gibt auch eine hohe Fluktuation innerhalb der DB

    Heißt, man fängt als Lokführer oder FDL an und nach einer gewissen Zeit wechselt man ins Büro, gerade in den Betriebszentralen schöpfen die Abteilungen wie Fahrplan und Betra viele Mitarbeiter ab. Hat den Vorteil dass die Leute praktische Erfahrungen haben, den Nachteil dass diese Personen dann an ihren ursprünglichen Platz fehlen

    Und wieso wechseln die Leute ins Büro? Keine Schichtarbeit, geregelte Arbeitszeiten. Das Geld ist kein großes Argument weil durch den wegfall der Schichtzulagen sogar weniger auf dem Konto übrig bleibt

    Deshalb hätte eine Reduzierung der Arbeitszeit auch den Effekt, dass mehr Lokführer oder FDL etc. länger den Job machen, für den sie auch qualifiziert wurden

  • Das sind gute, zusätzliche Hinweise, vielen Dank.

    Und wieso wechseln die Leute ins Büro? Keine Schichtarbeit, geregelte Arbeitszeiten.

    Okay, aber die Schichtarbeit an sich ist ja kein Verhandlungspunkt, oder sehe ich das falsch?
    Sprich: Durch die geforderte Verringerung der Wochenarbeitszeit ändert sich ja nicht die Bereitschaft, in "geregelte Arbeitszeiten" zu wechseln - oder etwa doch?


    Zwar schreibst du:

    Deshalb hätte eine Reduzierung der Arbeitszeit auch den Effekt, dass mehr Lokführer oder FDL etc. länger den Job machen, für den sie auch qualifiziert wurden

    ... aber das halte ich für eine recht gewagte These.
    Hier müsste begründet werden, dass die Attraktivität der geregelten Arbeitszeit nachlassen würde, wenn im Schichtbetrieb weniger Arbeitszeit zu leisten wäre. Gäbe es dafür Belege, könnte die GDL bei mir sogar argumentativ punkten.


    Ich habe jedoch gewisse Zweifel daran.

    Einmal editiert, zuletzt von Uli Nobbe () aus folgendem Grund: typo

  • Zwar schreibst du:

    ... aber das halte ich für eine recht gewagte These.
    Hier müsste begründet werden, dass die Attraktivität der geregelten Arbeitszeit nachlassen würde, wenn im Schichtbetrieb weniger Arbeitszeit zu leisten wäre. Gäbe es dafür Belege, könnte die GDL bei mir sogar argumentativ punkten.

    Eventuell schon die Aussicht, ggf. an mehr Tagen mit ungünstigen Zeiten ( Wochenende, Feiertagen) Dienstfrei zu haben, kann viel Ausmachen.

  • Im Metallgewerbe hat es, wie Darkside schon angekündigt hat, mindestens langfristig funktioniert, mit der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchzukommen und auch in den Folgejahren keine unterdurchschnittlichen Lohnentwicklungen in Kauf nehmen zu müssen. Das zeigt: mehr Geld und weniger Arbeit können funktionieren.


    Und klar ist da auch Klassenkampf dabei. Dieser Kampf wird von oben sowieso unaufhörlich geführt, bei jeder Diskussion über Erbschaftssteuer, Mehrwertsteuer, Dienstwagenbesteuerung und und und.

  • Weselsky entscheidet alleine, ob die GDL streikt oder nicht.

    Also ein absolutistischer Monarch oder Diktator?

    Ich kenne die Satzungen der Gewerkschaften allgemein bzw. der GdL nicht, aber dass eine Einzelperson entscheidet, kann in einem demokratisch verfassten Land wohl nicht sein.

  • Also die Strukturen und insbesondere die Art wie diese erhalten werden sind schon etwas speziell. Vor einigen Jahren hat W. doch seine Vize abgesägt. Zumindest habe ich sowas in Erinnerung. Ist aber kurz nach Schells Abgang gewesen.


    Was mich besorgt, ist der Keil welcher innerhalb der Bahn beim Personal getrieben wird.


    Ich bin mir zudem fast sicher, dass hier früher oder später Gerichte irgendwie involviert werden.

  • Natürlich entscheidet er nicht alleine. Aber "er" hat eine von zwei Narrativ-Hohheiten und die Belegschaft streikt per se erst einmal gerne (auch wenn es nicht immer einen Grund gibt). Die Wahrscheinlichkeit ein Votum für einen Streik zu bekommen mit halbwegs nachvollziehbaren Argumenten nicht wirklich schwer.

  • Nach zwei von vier geplanten Verhandlungsrunden das Scheitern zu erklären und bereits vor der zweiten Runde eine Urabstimmung einzuleiten deutet nicht auf den Willen hin, im Tarifkonflikt eine schnelle Lösung zu finden. Danke, GDL.


    Interessant auch diese Bemerkung aus dem oben verlinkten tagesschau.de-Artikel:

    Zitat

    "Die Lokführergewerkschaft will mit dem Kopf durch die Wand. Das geht bekanntlich nicht gut", sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. Dabei sei gestern bis zum frühen Abend in Abwesenheit des GDL-Chefs "in sachlicher Atmosphäre verhandelt" worden.

  • Interessant auch diese Bemerkung aus dem oben verlinkten tagesschau.de-Artikel:

    [Dabei sei gestern bis zum frühen Abend in Abwesenheit des GDL-Chefs "in sachlicher Atmosphäre verhandelt" worden.]

    Wenn man sich genau anguckt, was da steht, liest man: der Vorstand der DB benutzt das in der Öffentlichkeit sowieso vorhandene Bild des GDL-Chefs, um einen einfachen Sündenbock für gescheiterte Verhandlungen zu haben.


    Vielleicht ist die aktuelle Situation tatsächlich auf den Sturkopf eines einzelnen Menschen zurückzuführen. Aber dass der Bahnvorstand das unabhängig von den tatsächlichen Gründen behauptet, ist wenig verwunderlich. Er ist kein neutraler Akteur.

  • Ich finde den Satz eher dahingehend befremdlich, als dass ich den GDL Chef bei einem so wichtigem Projekt für die Gewerkschaft als verpflichtend sehen würde. Nun kenne ich die üblichen Verhandlungsdiplomatie in solchen Runden nicht wirklich, aber ich hätte ihn dort erwartet.

  • Ich finde den Satz eher dahingehend befremdlich, als dass ich den GDL Chef bei einem so wichtigem Projekt für die Gewerkschaft als verpflichtend sehen würde. Nun kenne ich die üblichen Verhandlungsdiplomatie in solchen Runden nicht wirklich, aber ich hätte ihn dort erwartet.

    Ich vermute, die spielen da auch ein bisschen Good Cop - Bad Cop. Es wird wohl eine Verhandlungsgruppe geben, die aber nicht das Mandat hat, Entscheidungen zu treffen. Die einigen sich, präsentieren das Ergebnis ihren Chefs "zur Genehmigung", und werden dann wieder zurückgeschickt, wenn man mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist.

  • Es wird wohl eine Verhandlungsgruppe geben, die aber nicht das Mandat hat, Entscheidungen zu treffen. Die einigen sich, präsentieren das Ergebnis ihren Chefs "zur Genehmigung", und werden dann wieder zurückgeschickt, wenn man mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist.

    Klassische Verzögerungstaktik. An den Verhandlungstisch gehören die Menschen, die auch entscheiden können: Also DB-Personalvorstand und GDL-Gewerkschaftsboss.